Welchen Wert hat die Allgemeinbildung heute noch?
Shownotes
Die Institution Schule, wie wir sie kennen, setzt immer noch vermehrt auf das Vermitteln von Allgemeinwissen, um Schüler:innen auszubilden. Doch das Verständnis von „Bildung“ und deren Standards verändern sich ständig. In diesem Podcast wird daher die Frage gestellt, ob der Fokus auf Allgemeinbildung in unserer heutigen Zeit überhaupt noch Gültigkeit besitzt und ob wir unser Schulsystem stattdessen auf den Erwerb persönlicher Handlungskompetenzen umfokussieren sollten. Praxistipps:
- Erfahre, welchen Wandel der Bildungsbegriff in der Geschichte vollzogen hat und worin der Unterschied zwischen Bildung und Kompetenzen liegt.
Mehr dazu erfährst du im Jahresheft 2025, Ausgabe "Bildung", erschienen im Friedrich Verlag.
Im Podcast hörst du die Bildungsexpertin Kati Ahl im Gespräch mit Thomas Häcker (Professor für Erziehungswissenschaft, Schulpädagogik und Bildungsforschung (ESB) an der Universität Rostock und Mitherausgeber der Zeitschrift).
Transkript anzeigen
00:00:00: Einfach unterrichten, der Podcast von Friedrich Plus aus dem Friedrich verleiht. Wir bringen
00:00:10: innovativen Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt. Herzlich Willkommen zum Podcast Einfach
00:00:18: Unterrichten zum Jahresheft-Bildung. Bei mir ist Professor Thomas Hecker. Herzlich Willkommen,
00:00:25: Herr Hecker. Hallo. Mein Name ist Kathi Aal und ich habe heute das Vergnügen mit Ihnen das Interview
00:00:32: zu führen. Sie sind Professor an der Uni Rostock und Sie haben so breit publiziert, dass es mich
00:00:40: fast ein bisschen erschlagen hat. Hier gibt es Krise, das Jahresheft im Friedrich Verlag von
00:00:46: 2024. Hier gibt es der inklusive Blick. Hier gibt es, wie kommt man zu wissen, das Handbuchportfolioarbeit,
00:00:55: Ethik in pädagogischen Beziehungen, alternative Leistungsbeurteilung, Lernenleistung und Noten,
00:01:03: reflexive Professionalisierung. Ist das Jahresheft-Bildung? Da sowas wieder krönende Abschluss, Herr Hecker?
00:01:10: Krönend ist es auf jeden Fall, weil ich das Thema Bildung tatsächlich für relevant halte. Ob es ein
00:01:18: Abschluss ist, muss man mal sehen und vielleicht haben Sie gesehen, wir haben ja einen Beitrag im
00:01:23: Heft, der den Begriff "Bildungsabschluss" als Unwort des Jahres 25 vorschlägt. Das würde jetzt dem
00:01:30: Wesen dessen, was wir mit dem Begriff "Bildung verbinden" sehr widersprechen, dass man Bildung
00:01:34: abschließen könnte. Ich würde auch meinen persönlichen Bildungsprozess nicht als abgeschlossen
00:01:39: betrachten. Es ist vielleicht eines der Wesensmerkmale von Bildung, dass wir das als ein unabschließbaren
00:01:44: Prozess betrachten. Ich weiß, dass Sie sich ganz genau vorbereitet haben und dass Sie wirklich
00:01:49: tief drinstecken in diesem Jahresheft. Ich frag mich, ist der Begriff "Bildung" nicht zu groß, um Ihnen
00:01:57: einem Heft zu bearbeiten? Hatten Sie ein bisschen Respekt davor vor dem Jahresheft zum Thema Bildung?
00:02:02: Wir hatten großen Respekt. Auf jeden Fall "Bildung" ist tatsächlich ein sehr, sehr großer Begriff und wir
00:02:08: freuen uns auf Rückmeldungen zum Heft und wir freuen uns mal auf die Reaktionen, die das Heft
00:02:13: auslöst, weil egal, was man zu Bildung sagt, man wird da immer auch ein Stück weit polarisieren und
00:02:20: man wird Menschen finden, die bestimmten Perspektiven zustimmen und wir werden Menschen finden, die
00:02:26: das weniger gut finden. Der Bildungsbegriff ist insofern schwierig, weil er sozusagen auch ein
00:02:32: Stück weit so ein Containerbegriff ist. Also der wird ja manchmal als ein "Catch all" Begriff, als ein
00:02:38: Fasi-Concepts betrachtet. Einfach deshalb, weil man Bildung nicht konsensfähig definieren kann und der
00:02:45: Begriff ist sozusagen auch sehr stark historisch beladen. Es gibt diesen Begriff eben schon sehr,
00:02:50: sehr lange und er hat quer durch die Zeiten viele Wandlungen in seiner Bedeutung erfahren und insofern
00:02:56: ist es ja auch fast ein bisschen verwegen zu meinen, dass man das nicht fassliche fassbar machen kann.
00:03:01: Wir haben deshalb versucht, ganz, ganz viele Perspektiven, auch diskursive Perspektiven ins Spiel
00:03:08: zu bringen. Wir haben auch im Team Leute, die finden den Bildungsbegriff eher ein bisschen schwierig und
00:03:14: sagen, der ist eigentlich verzichtbar und andere, die sagen, nee, wir brauchen den Bildungsbegriff und
00:03:19: wir haben versucht, in dem Heft genau das abzubilden. Jetzt gibt es ja im Heft auch ein Plakat "Bildung
00:03:26: ist für mich". Das hat mich sehr zum Nachdenken angeregt, wie ich denn die Frage beantworten würde.
00:03:32: Vorher aber noch mal die Frage, es gibt ja im Englischen den Begriff "Education". Wie unterscheiden
00:03:38: zwischen Erziehung und Bildung? Wie würden Sie denn Erziehung und Bildung gegeneinander abgrenzen?
00:03:42: Bildung ist in meinen Augen ein sehr viel weiterer Begriff und Bildung unterscheidet sich von
00:03:49: Erziehung sehr stark durch die Intentionalität. Wenn wir über Erziehung reden, dann versuchen wir
00:03:55: ja eine Einwirkung auf die Persönlichkeitsstruktur von Kindern und Jugendlichen, die sehr intentional
00:04:02: ist, fassbar zu machen, während der Bildungsbegriff eigentlich ein reflektiver Begriff ist. Wir sprechen
00:04:08: ja davon, sich zu bilden. Bildung wird häufig verbunden mit der Idee, ich kann nicht von
00:04:15: jemandem gebildet werden, ich kann nicht nur selbst bilden. Das wäre zum Beispiel ein ganz
00:04:20: fundamentaler Unterschied zum Erziehungsbegriff. Das würde den Begriff und den Bedeutung und den
00:04:26: Konnotation dieses Begriffsschagen widersprechen. Was ich spannend finde, ist, der Begriff ist
00:04:30: tatsächlich international unübersetzbar. Das heißt, im angloamerikanischen Bereich hat man
00:04:34: sich darauf verständigt zu sagen, wir sprechen von German-Bildung. Das ist ein deutsches Unikat.
00:04:40: Und obwohl wir so gut darin sind, solche Worte zu prägen, solche Unikate zu finden,
00:04:48: gibt ja einige Begriffe, die aus dem Deutschen in anderen Sprachen übernommen wurden. Ist doch
00:04:54: die Frage, ob die Bildung bei uns tatsächlich so selbstbestimmt und frei ist. Zumindest Simon
00:05:00: Marian Hoffmann, mit dem Sie ein Interview geführt haben, hat das mal in Frage gestellt. Er hat
00:05:07: den Film "Bildungsgang" aufgenommen, der vielleicht vielen ein Begriff ist. Was haben Sie erlebt? Was
00:05:14: sagt Simon Marian Hoffmann dazu? Bildung muss selbstbestimmt und frei sein. Ist sie es denn nicht?
00:05:19: Also in seinen Augen ist es auf gar keinen Fall und Simon ist ja dadurch sehr stark in
00:05:27: das öffentliche Licht getreten, dass er einen großen Bildungsstreik der 2016 in Stuttgart durchgeführt
00:05:34: wurde von jungen Leuten, die einer NGO angehören, die heißt "Demokratische Stimme der JugendEV".
00:05:40: Diese Organisation hat wochenlang einen großen Streik durchgeführt und Simon hat einen
00:05:46: Dokumentarfilm darüber gedreht und vielleicht kann man an dem Beispiel ein bisschen verdeutlichen,
00:05:50: was er meint. Also in dem Bildungsstreik ging es darum, dass Bildung von Kindern und Jugendlichen
00:05:55: häufig als ein formatiert werden, als ein zweckhaft, funktional zugeschnitten werden,
00:06:02: auf gesellschaftliche Bedarfe empfunden wird, bei dem sehr viel Druck ausgeübt wird. Schule wird
00:06:08: als eine Zwangsorganisation empfunden. Also es wird in dem Film sehr, sehr deutlich, dass Bildung,
00:06:14: sogenannte Bildung in der Schule, eher maximal fremdbestimmt ist. Da gibt es Bildungspläne,
00:06:20: Lehrpläne und ich werde nicht gefragt, ob ich mich an einem Sommertag im Juni mit dem Gedicht von
00:06:25: Hermann Hesse im Nebel befassen möchte, sondern das steht einfach auf dem Lehrplan und wird
00:06:30: dann durchgezogen. In dem Film "Bildungsgang" gibt es sehr viele Jugendliche, die dort zu Wort kommen
00:06:36: und ihre Erlebnisse, ihre Erfahrungen mit Schulischildern, die sehr, sehr viel mit Entfremdung zu
00:06:43: tun haben, die sehr viel mit Druck, Zwang und Belastung und auch mangelter Sinnhaftigkeit zu
00:06:48: tun haben. Das ist ein Film, der geht ziemlich unter die Haut. Simon Prangert natürlich das an,
00:06:55: diese Art von Schule und Unterricht und setzt dem etwas entgegen und zwar den sogenannten
00:07:01: Bildungsbrief und die Idee dahinter ist, dass er in seinen, sagen wir mal, radikalen Anfangszeiten
00:07:07: sogar das Abitur durch einen Bildungsbrief ersetzen wollte, sagt Jugendliche müssen sich selbst ihre
00:07:12: Themen wählen. Menschen gehen interessiert und neugierig in die Welt und haben ihre eigenen
00:07:17: Themen und diese Themen bildungsförmig zu bearbeiten, muss was Inhalte und Themen angeht, den Menschen,
00:07:23: den Subjekten, den Schülerinnen selbst überlassen bleiben. Und die Idee hinter dem Bildungsbrief ist,
00:07:28: dass ich mir ein Thema vorknöpfe und mich in diesem Thema selbst bilde und mir die Lehrenden,
00:07:34: die mich bei dem Bildungsgang unterstützen sollen, selbst wähle. Also Simon hat beispielsweise
00:07:40: diesen Filmbildungsgang genutzt. Er sagt, ich wollte immer Dokumentarfilmer werden, wollte aber
00:07:44: nicht einen Studiengang in Dokumentarfilmen in Babelsberg machen und hat sozusagen sich dieses
00:07:51: Projekt "Ich mache einen Dokumentarfilm, der in die Kinos kommt" vorgenommen und hat sich von
00:07:55: einem ganz berühmten Dokumentarfilmer als Pate, als Coach, als Lernpartner unterstützen lassen.
00:08:02: Und das ist sozusagen dieser Dokumentarfilm ist sein Bildungsbrief. Das ist sozusagen der
00:08:08: materiale Nachweis der Kompetenzen, die er erworben hat und die er offensichtlich sehr
00:08:13: erfolgreich sind. Und Simon würde jetzt über sich sagen, ich bin mittlerweile Dokumentarfilmer und
00:08:17: habe eben nicht ein Studium in Dokumentarfilm absolviert. Und der sagt, wenn wir sozusagen
00:08:23: Bildungstertifikate durch Bildungsbriefe ersetzen würden, dann wäre sehr viel mehr Motivation,
00:08:29: sehr viel mehr Eigensinn, sehr viel mehr Sinnhaftigkeit in Bildungsprozessen und diese
00:08:35: Entfremdung, die viele Schülerinnen und Schüler in der Schule erleben, in diesen fremdbestimmten
00:08:40: Bildungsgängen, wie Simon sagen würde, die würde umgedreht werden in selbstbestimmte,
00:08:47: von hoher intrinsischer Motivation getragener Bildungsprozesse.
00:08:50: Okay, das erinnert mich an den OECD Lernkompass 2030, der ja davon agency spricht, dass
00:08:58: Lernende ihren Lernprozess selbst in die Hand nehmen sollen. Sie sollen diesen Kompass in der
00:09:04: Hand haben und dabei gut unterstützt werden, aber eben selbst aktiv werden. Das ist ja jetzt die
00:09:10: Frage, wie passt das zusammen mit zum Beispiel politischer Bildung, die ja schon im Titel trägt,
00:09:18: dass man etwas erreichen möchte und erzielen möchte bei den jungen Menschen.
00:09:22: Es ist die Frage, ob das tatsächlich ein Widerspruch letztlich ist, denn Bildung muss aus meiner Sicht
00:09:30: immer auch eine Komponente enthalten und das ist natürlich das Vertraut machen mit der Gesellschaft,
00:09:37: das Vertraut machen mit der Kultur und der Zivilisation, in der wir leben. Also Bildungsprozesse
00:09:43: haben schon auch viel damit zu tun, dass wir der nachwachsenden Generation die Möglichkeiten
00:09:49: und die Optionen, die kulturell gesellschaftlich entwickelt wurden, nahe bringen. Also es gibt
00:09:55: kein Bildungsprozess, der nicht auch in der Anpassungsseite hat. Was Simon vielleicht so ein
00:10:00: bisschen herausstellt, ist die Frage, wie kommt es zum Thema und wie kommt es zum Prozess? Ich würde
00:10:07: sagen, eine demokratische Gesellschaft hat das Kernproblem, dass kein Mensch als Demokrat geboren
00:10:12: wird, sondern Demokratie muss ihre eigenen Bestandsvoraussetzungen sozusagen über Bildungsprozesse
00:10:18: immer wieder neu selbst herstellen. Das bedeutet, wir kommen gar nicht aus dieser Nummer raus,
00:10:23: dass wir Kinder und Jugendliche mit politischen Überlegungen, politischen Systemen in einer Art
00:10:29: und Weise vertraut machen müssen.
00:10:32: wie sie nicht nur in die Lage versetzt, politische Prozesse zu verstehen,
00:10:36: politische Strukturen zu durchschauen, sondern sich eben auch an politischen
00:10:42: Prozessen zu beteiligen. Und deshalb würde ich an dem Punkt sagen,
00:10:45: das ist nicht ein Kern, ein Widerspruch, die Frage wäre, wie dieser Bildungsprozess
00:10:50: erfolgt und da wäre beispielsweise eine Möglichkeit, demokratische Strukturen
00:10:54: aufzusetzen. Also eine Schule, die ja an sich keine demokratische Einrichtung ist,
00:11:00: die Vertreterinnen, die in der Schule sind, nämlich die Lehrerinnen und Lehrer,
00:11:04: die Schulleitungen, die werden ja nicht demokratisch gewählt.
00:11:06: Deshalb können sie auch nicht auf den demokratischen Wege wieder entlastet und
00:11:09: abgeschafft werden. Also insofern ist Schule tatsächlich
00:11:12: ein Ort, an dem Demokratie jetzt nicht so ganz einfach hat.
00:11:15: Und trotzdem ist die Frage einer
00:11:18: Demokratisierung schulischer Prozesse so eine Möglichkeit, Teilhabe
00:11:23: spürbar und erfahrbar werden zu lassen, um im Rahmen eines Bildungsprozesses, der
00:11:27: natürlich auch inhaltliche Aspekte hat und bei dem es auch um
00:11:31: Wissensvermittlung geht, zu verbinden mit einer echten Beteiligung und auch
00:11:36: mit der Erfahrung, was es heißt, wenn beispielsweise das Gewicht des besseren
00:11:41: Argumentes oder die Möglichkeit, Menschen zu gewinnen, sich an einer
00:11:46: Durchsetzung von Ideen zu beteiligen und das in einem demokratischen Prozess zu
00:11:49: erreichen, also so eine lebendige Erfahrung zu machen, wäre dann trotzdem
00:11:54: noch mal was anderes, als jetzt nur einen wissensvermittelnden
00:11:58: Unterrichtsprozess über Demokratie zu machen.
00:12:00: Okay, was bringt Sie zu der Aussage,
00:12:03: dass die Menschen nicht als Demokraten und Demokratinnen geboren werden?
00:12:08: Kleine Kinder sind doch schon hochempartisch.
00:12:11: Wenn ein anderes Kind weint, weinen Sie mit.
00:12:13: Wenn nicht gerecht geteilt wurde, dann möchten Sie vielleicht teilen.
00:12:18: Wieso sagen Sie, die Menschen sind keine
00:12:22: Demokratien und Demokratien?
00:12:23: Demokratie als Herrschaftsform ist ja eine bestimmte Form des Organisierzeins.
00:12:28: Ich würde das vielleicht eingehend relativieren, dass ich tatsächlich der Meinung bin,
00:12:33: dass Menschen prinzipiell soziale Wesen sind,
00:12:36: dass Menschen prinzipiell kooperativ und empathisch sind.
00:12:39: Aber dass das ganze gezwungenermaßen in sozusagen
00:12:43: eine demokratische Organisationsform gegossen wird, wie wir sie jetzt als
00:12:48: westliche Zivilisationen mehr oder weniger gut gelernt haben, zu leben und zu
00:12:53: organisieren, das ist nochmal die Frage also in dieser Form, wie wird es jetzt leben?
00:12:58: Sind es ja Formen, mit denen man schon vertraut gemacht werden muss.
00:13:00: Aber das ganze gründet natürlich auf so einem empathischen
00:13:04: sozialen Erleben, dass wir von anderen abhängig sind,
00:13:07: es andere von uns abhängig sind und dass wir eigentlich Welt nur günstigstenfalls
00:13:12: in Kooperation gestalten können.
00:13:16: Sie haben zu Beginn gesagt, dass das Lernen für Sie selbst,
00:13:20: dass Sie sich selbst bilden, ja auch noch nicht vorbei ist.
00:13:23: Lehrkräfte sind ja gehalten, immer wieder
00:13:27: pädagogisches Wissen zu erneuern und sich es immer weiter zu bilden.
00:13:31: Es gibt nämlich auch einen Beitrag von Klima
00:13:36: zur Bildungsemperie.
00:13:38: Jetzt frage ich mich, wenn doch alle Menschen
00:13:41: ihre Bildung selbst konstruieren und das ein eigenaktiver Prozess ist, wie kann denn
00:13:46: dann Bildungsemperie überhaupt eine wirksame Aussage treffen?
00:13:50: In dem Beitrag von Klima geht es sehr stark um das Thema Kompetenzen.
00:13:56: Ich habe ja vorhin versucht deutlich zu
00:13:59: machen, dass wir dieses Bildungsheft unter anderem gerne deshalb machen wollten,
00:14:02: weil wir den Eindruck haben, dass nach der ersten PISA-Studie, sagen wir mal so um
00:14:06: die Jahrtausendwende, ein Begriff, den Bildungsbegriff, den Rang abgelaufen hat.
00:14:10: Und das ist nämlich der Begriff der Kompetenz.
00:14:12: Und wir haben uns bei Herrn Klime für die Frage interessiert, wie er denn nach
00:14:16: 25 Jahren Kompetenz-Diskussion, die er maßgeblich mit seinem Buch und mit seiner
00:14:22: Expertise Standards für die Bildungsstandards, mit der er beauftragbar vom
00:14:28: BMBF, wie er das jetzt aus der Distanz heraus einfach sieht, ob das jetzt ein
00:14:33: Gewinn war oder ein Verlust und wie sich die beiden Begriffe zueinander verhalten.
00:14:37: Insofern war das tatsächlich uns ein großes Anliegen, noch mal einen zu Wort kommen
00:14:42: zu lassen, der diese Geschichte eigentlich ein Stück weit auch mitgeschrieben hat.
00:14:45: Für mich waren da zwei spannende Dinge enthalten, also zwei Dinge, die mir noch mal
00:14:50: sehr aufgefallen sind, ist, dass Herr Klime damals gesagt hat, es ging schon darum,
00:14:55: erstens mal am internationalen Diskurs anschlussfähig zu werden und es ging
00:14:58: schon um die Frage, Bildungsprozesse so ein bisschen aus der Beliebigkeit herauszuholen,
00:15:03: weil die Frage war, wie können wir eigentlich uns einen Überblick daüber verschaffen,
00:15:07: wie unser Bildungssystem funktioniert und wir müssen das in irgendeiner Weise
00:15:12: beobachtbar, klar mal auf, messbar machen, um zu sehen,
00:15:17: was entwickelt sich da, entwickelt sich etwas, in welche Richtung geht es und wie ist
00:15:20: das im internationalen Vergleich.
00:15:22: Da ist man eben auf den Kompetenzbegriff gekommen, der das durchaus da große
00:15:27: Potenziale und Vorteile hat und auch sehr, sehr viel produktives Forschen möglich
00:15:32: gemacht hat. Aber die Frage, die dann eben auftaucht, ist, ob es, ob uns nicht etwas
00:15:37: verloren gegangen ist durch die Ersetzung des Bildungsbegriffs, durch den Kompetenzbegriff.
00:15:41: Sie haben ja sogar einen Beitrag im Heft, der heißt "Bildung ist nicht Kompetenz".
00:15:47: Bitte erklären Sie mir nochmal den Unterschied.
00:15:49: Bildung ist nicht Kompetenz, ist ein schöner Beitrag von Herrn Lederer, der nochmal
00:15:54: versucht, als jemand, der sich in einer unglaublich umfangreichen Monographie
00:15:59: mit dem Bildungsbegriff befasst hat, nochmal dazu zu bringen, dass ein bisschen
00:16:03: Konzise auf den Punkt zu bringen, wo da die Unterschiede sind.
00:16:06: Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kompetenz und Bildung liegt beispielsweise
00:16:09: darin, dass im Kompetenzbegriff die Selbstständigkeit und die Selbstorganisation
00:16:15: betont wird, während der Bildungsbegriff immer von Selbstbestimmung und Selbstbestimmtheit
00:16:20: spricht. Der Bildungsbegriff ist immer in der einen oder anderen Weise normativ
00:16:25: aufgeladen. Also es ist ein Begriff, der immer ethisch-politisch auch aufgeladen ist.
00:16:29: Aber der Kompetenzbegriff versucht sozusagen einfach in erster Linie
00:16:34: Fähigkeiten und Fertigkeiten zu beschreiben, die uns helfen, bestimmte Probleme zu lösen.
00:16:40: Und insofern könnte man, und der Herr Lederer macht da einen ganz bösen Begriff,
00:16:44: kenntlich, er sagt, man könnte auch von einer Massenmordkompetenz sprechen.
00:16:48: Also dieser Begriff ist sozusagen nicht von vornherein irgendwie werthaft, normativ,
00:16:53: ethisch aufgeladen. Man könnte eine Kompetenz-Entwicklungskompetenz oder eine
00:16:58: Kompetenz-Analyse-Kompetenz konstruieren, also alles, was Menschen in der Lage sind
00:17:01: zu tun, könnte man eigentlich als Kompetenz formulieren und müsste es dann
00:17:06: durch Operatoren beobachtbar machen.
00:17:08: Ein letzter Unterschied, der vielleicht auch noch mal relevant ist und dann wird die Brücke
00:17:12: zu den Forschungen von Herrn Klime und von vielen Bildungsforscher*innen auch noch mal deutlich.
00:17:18: Der Kompetenzbegriff ist genau darauf angelegt,
00:17:20: operationalisierbar zu sein und damit beobachtbar und messbar zu sein.
00:17:25: Bildung würde jetzt sozusagen per Definition im Etwas sein, was man nicht wirklich messen kann.
00:17:30: Jetzt ist das Jahresheft zum Thema Bildung nicht nur
00:17:34: eine Ansammlung plugger Gedanken und philosophischer Betrachtungen, sondern es geht auch ganz
00:17:39: praxisbezogen darum, wie Schüler*innen Bildung nicht nur als lästige Pflicht erleben,
00:17:45: sondern bereichernd und persönlichkeitsbildend, zum Beispiel im Beitrag von
00:17:49: Marion Feld, wie kann denn Schule Freiraum bieten?
00:17:54: Wie kann Schule den Gleich minimieren und Gestaltungsspielraum lassen?
00:18:00: Können Sie das an einem Praxisbeispiel nochmal auch zeigen, Herr Hecker?
00:18:03: Also im Kern geht es bei fast allen Autor*innen, die sich damit befasst haben,
00:18:08: darum, dass die Frage ist, an welchen Themen wird denn Bildung festgemacht?
00:18:13: Und ein wesentlicher Punkt ist tatsächlich der, dass es die Frage ist, wie können wir
00:18:19: in Schulen, wie können wir in verschiedenen Feldern lebensnahe, hinreichend komplexe
00:18:25: Themen aufgreifen, die wirklich offen sind und die herausfordernd sind und die durch
00:18:31: selbstständige Forschende Tätigkeiten wirklich eine Antwort zugeführt werden können.
00:18:36: Also sowas wie eine echte eigene Betroffenheit und Involviertheit überhaupt möglich ist.
00:18:42: Wenn Sie mal schauen, ein ernstzunehmender Projektunterricht ist ja ein
00:18:45: Unterricht, bei dem die Lehrperson auch keine Antwort hat.
00:18:49: Also Themen, die junge Menschen aufwerfen, für die es schon Antworten gibt,
00:18:53: die können wir in Form einer Lektion, einer Vorlesung beantworten.
00:18:56: Können wir sagen, das wissen wir schon.
00:18:58: Aber das Schöne und vielleicht das Herausforderde in unserer Zeit ist ja, dass wir es
00:19:02: heute mit so unglaublichen Komplexitäten zu tun haben.
00:19:05: In dieser Zeit liegen in meinen Augen die Themen, die junge Menschen beschäftigen,
00:19:11: für mich auf dem Weg, Bildungsprozesse, die das aufgreifen, die also den Raum bieten,
00:19:16: zu sagen, was ist denn das, was euch beschäftigt?
00:19:18: Und wie können wir das bildungsförmig bearbeiten?
00:19:20: Also wir können wir relevante Fragen aufgreifen, die euch wirklich beschäftigen
00:19:25: und alle Kräfte bündeln, um gemeinsam versuchen, da Antworten oder Annäherungen
00:19:30: an Antwort zu finden, das würde zumindest auch eine innere Beteiligung und vielleicht
00:19:34: auch eine emotionale und eine existenzielle Beteiligung sicherstellen und solche
00:19:39: Gestaltungsspielräume in der Schule aufzumachen.
00:19:42: Das wäre eine echte Entwicklungsaufgabe.
00:19:44: Und solche Prozesse haben ein hohes Maß an Persönlichkeitsbildender Wirkung,
00:19:49: weil ich eben entlang meiner Fragen auch mein Wissen
00:19:52: ausschärfen kann und sehr stark dann thematisch auch bei dem bin, was mich
00:19:56: wirklich beschäftigt und dem in einer anführenden Weise in Schule nachzugehen.
00:20:00: Das wäre aus meiner Sicht eine Möglichkeit,
00:20:03: den Gestaltungsspielraum für Schule bildungsförmig zu nutzen.
00:20:07: Wenn Sie, liebe Hörerinnen, erfahren wollen,
00:20:10: welchen Wandel der Bildungsbegriff in der Geschichte vorzogen hat.
00:20:14: Wohin der Unterschied zwischen Bildung und Kompetenzen legt.
00:20:19: Und wenn Sie ein Fächerübergreifendes Bildungsverständnis
00:20:23: nutzen wollen, das auf Teilhabe, Urteils- und Handlungsfähigkeit beruht,
00:20:29: dann empfehlen wir Ihnen das Jahresheft Bildung.
00:20:33: Hier können Sie Ihren Schüler*innen
00:20:34: vermitteln, dass Bildung Persönlichkeitsbildend wirkt.
00:20:38: Zumindest erhalten Sie das pädagogische Wissen dazu,
00:20:42: denn die Bildung liegt in der Hand des Schüler*innen selbst.
00:20:46: Vielen Dank, Herr Hecker.
00:20:47: Sehr gerne. Vielen Dank.
00:20:49: Das war "Einfach Unterrichten", der Podcast von Friedrich Plus aus dem Friedrichverlag.
00:20:58: Wir bringen innovativen Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt.
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