Deutsch: Kafka - neue Wege zum Werk

Shownotes

Kafkas Themen sind zeitlos: gescheiterte Kommunikation, Recht, Wahrheit und Gerechtigkeit, ökonomische Ausbeutung und soziale Deklassierung. Aber was macht darüber hinaus die anhaltende Faszination Kafkas aus? Wofür steht er heute und welche innovativen Zugänge zu seinen Texten und Zeichnungen sind in der Schule möglich? Seine Texte prangern Machtmissbrauch an, faszinieren mit sprachlichen Bildern und Alltagskomik, und bieten Schüler:innen Raum für offene Diskussionen. Ihre traumhafte Mehrdeutigkeit regt zur eigenen Kreativität an – und sogar seine Zeichnungen eröffnen neue Zugänge zu seinem Werk. Kafka überrascht, fordert heraus und bleibt dabei zeitlos.

Mehr dazu erfährst du in der Ausgabe 305 von Praxis Deutsch erschienen im Friedrich Verlag.


Im Podcast hörst du Moderatorin Veronika Obermeier im Gespräch mit Prof. Ulf Abraham (Deutsch-Didaktiker und Herausgeber).

Transkript anzeigen

00:00:00: Einfach unterrichten, der Podcast von Friedrich Plus aus dem Friedrich Verlag. Wir bringen

00:00:10: innovativen Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt.

00:00:13: Herzlich willkommen beim Podcast Einfach Unterrichten vom Friedrich Verlag. In jeder Folge bringen wir

00:00:21: den neuesten Stand der Fachdidaktik in 5 Thesen auf den Punkt. Heute geht es um Franz Kafka im

00:00:26: Deutschunterricht. Mein Name ist Veronica Obermeier vom Institut für Digitales Lernen und ich darf

00:00:31: in diesem Podcast Ulf Abraham begrüßen. Er ist der Herausgeber dieser Praxis-Deutsch-Ausgabe

00:00:36: und für den Fall, dass es Hörerinnen und Hörer geben sollte, die noch nie von ihm gehört haben,

00:00:41: nur so viel. Wikipedia bezeichnet ihn als einen der letzten Generalisten der Deutschdidaktik.

00:00:47: Herzlich willkommen, Herr Abraham. Herr Abraham, ich erinnere mich noch gut,

00:00:51: dass ich Deutsch Lehrkräfte hatte in meiner eigenen Schulzeit, die sehr zögerlich waren,

00:00:55: wenn es um Kafka ging. Und ich merke auch, in den letzten Jahren müssen sich die großen Autoren

00:01:02: des literarischen Kanons ihren Platz in den Deutsch Lehrplänen immer wieder neu sichern und

00:01:08: verteidigen. Wie ist es denn mit Kafka? Jetzt ist sein Todestag 100 Jahre hier. Ist der noch aktuell?

00:01:16: Ich glaube, Kafka kann überhaupt nicht veralten. Wenn wir uns anschauen, wie seine Texte vor 50

00:01:31: Jahren diskutiert worden sind oder dann vor 30 Jahren, da gab es übrigens schon mal einen Praxis-Deutsch-

00:01:38: hefte über Kafka. Das ist auch sehr interessant, das alte Heft mal daneben zu legen, wenn man das neue

00:01:44: plant. Da hat sich sehr, sehr vieles geändert. Also wir gehen eigentlich davon aus, oder wir

00:01:50: sind bei der Heftplanung davon ausgegangen, dass Kafka tatsächlich immer noch aktuell ist und in

00:01:57: mancher Hinsicht sogar aktueller als überhaupt vorher sein konnte. Und das hängt mit ganz vielen

00:02:04: Themen zusammen, zu denen er etwas zu sagen hat, zum Beispiel die deutsche oder überhaupt die

00:02:13: Kolonialgeschichte, die er tatsächlich aufarbeitet, zum Beispiel so Stichwörter wie Fremdenfeindlichkeit

00:02:20: und Gewalt und Machtmissbrauch. Das ist alles in unserer aktuellen Lebenswirklichkeit und

00:02:32: medialen Wirklichkeit täglich da und Kafka äußert sich dazu. Teilweise mit Texten, die in früheren

00:02:42: Jahrzehnten sehr verstörend waren, die aber nun allmählich leider auch immer näher heranrücken,

00:02:51: an das, was wir tatsächlich auch in den Nachrichten sehen können oder im Internet finden. Das ist so

00:02:58: und deswegen denke ich, wir brauchen nicht eigens zu begründen, dass Kafka immer noch in der Schule

00:03:06: behandelt wird oder werden soll. Das ist eigentlich klar. Natürlich haben wir, das haben wir auch

00:03:15: versucht. Das habe ich auch im Basisartikel ein bisschen dargestellt. Wir haben sozusagen eine

00:03:20: Hypothek, die darin besteht, dass es Jahrzehnte gegeben hat, in denen Kafka festgelegt werden

00:03:28: sollte auf eine bestimmte Lesart, zum Beispiel auf eine Marxistische oder Theologische oder

00:03:38: Psychoanalytische Lesart seiner Texte und dann wurden immer bestimmte Schlüsseltexte gesucht,

00:03:45: Prüf an den Vater zum Beispiel und dann hatte man scheinbar einen Beleg dafür und man hat sich

00:03:51: sozusagen seinen Kafka zu Recht gemacht und das ist ja auch klar. Jede Epoche muss, das gilt auch

00:03:58: für andere Klassiker und Klassikerinnen, muss ja ihre eigenen Entdeckungen machen und auch ihre

00:04:04: eigenen Probleme und Weltsichten hinzubringen. Das ist völlig legitim. Aber wir sehen heute,

00:04:15: dass sehr vieles, was es über Kafka noch zu Wissen gegeben hätte, über diesen weltanschaulichen

00:04:23: Graben kämpfen, links gegen rechts und so weiter und Theologie gegen Existenzialismus und so fort,

00:04:29: dass viele Dinge, die hochinteressant sind, eigentlich darüber vergessen oder überhaupt

00:04:35: nie aufgetaucht sind und das ist zum Beispiel die unglaubliche Nähe Kafka zu den Medien seiner

00:04:47: Zeit. Er hat sich für Medien sehr, sehr interessiert. Er ist fleißig ins Kino gegangen,

00:04:53: buchstäblich sei das überhaupt Kinos gab ab 1907 in Prag, um es konkret zu sagen. Und er hat

00:05:01: dieses neue Medium aufgesaugt und es gibt ein spannendes Buch des Germanisten Peter Andreald,

00:05:08: der alle diese Spuren des Kinos und des Mediums Films gesammelt hat, die in seinen Texten tatsächlich

00:05:17: und nicht nur in den publizierten Texten oder in den schnell publizierten Texten, sondern in

00:05:23: allem, was er geschrieben hat, auch in seinen Briefwechseln und in seinen Tagebücher. Und da

00:05:30: findet man diese Spuren und dann stellt sich heraus, dass Kafka dieses neue Medium sehr,

00:05:36: sehr genau beobachtet hat und sich Erzähltechniken abgeschaut hat, die er dann auch verwendet.

00:05:42: Ja, die eigentlich aus dem Film kamen. Genau, die eigentlich aus dem Film stammen und die ja für

00:05:49: sich, ich will mal sagen, adaptiert hat. Also das ist etwas, was man in früheren Jahrzehnten

00:05:57: der Kafka Rezeption eigentlich nicht diskutiert hat, so gut wie nicht. Und etwas anderes, was man

00:06:02: ebenfalls nicht diskutiert hat, weil es nicht möglich war, das ist Kafka als Zeichner. Denn die

00:06:10: meisten seiner Zeichnungen waren ja überhaupt nicht zugänglich, die waren bis vor sehr kurzer

00:06:14: Zeit in einem Banksafe in der Schweiz. Wie kam das, dass die erst, ich glaube, 2021 wurden die

00:06:21: ersten Jahre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wie kam das so spät noch? Naja,

00:06:25: das ist eine komplexe Vererbungs- und Rechtstreitsgeschichte, die jetzt glaube ich nicht hier

00:06:34: aufgerollt werden kann. Aber Tatsache ist, es geht ganz vieles in Positiven und in Negativen. Immer

00:06:42: wieder zurück auf den Nachlassverwalter, seinen besten Freund Max Brot, der zunächst nach

00:06:49: Gutdünken entschieden hat, alles Mögliche, zum Beispiel, welche Texte sind publizierbar und welche

00:06:56: nicht. Welche Texte kann man in der Form, in der sie vorgefunden hat, nicht publizieren, aber

00:07:01: wenn man ein bisschen was rausnimmt, vielleicht schon. Und welche Bilder, die ja nun bei Kafka

00:07:08: überall waren, die in den Tagebüchern auftauchen, die in Briefen auftauchen und natürlich eben auch

00:07:16: in Manuskrippen teilweise, ohne direkten Zusammenhang mit dem, was in der Handlung sozusagen gerade

00:07:23: passiert, jedenfalls manchmal, aber trotzdem offensichtlich eine Funktion hatten. Man kann

00:07:28: vielleicht grob zusammenfassen. Wenn es in Worten gerade nicht mehr weiter ging, dann hat er das

00:07:34: Medium gewechselt. Und Max Brot hat also einige Zeichnungen einfach rausgeschnitten aus Manuskrippen,

00:07:41: weil er sich für irgendeine Zwecke dann verwenden wollte. Das sind die, die man kannte. Das sind

00:07:48: zum Beispiel diese ganz berühmte Zeichnung von einem Einzelnen auf einem Stuhl sitzenden und über

00:07:55: den schreibtisch gebeugten Mann. Da gibt es auch einen interessanten Beitrag jetzt in unserem Heft

00:08:02: darüber, was man damit machen kann. Und diese Zeichnungen waren bekannter, aber das ist im

00:08:08: Grunde fast eine einstellige kleine Auswahl gewesen. Und all die anderen kannte man nicht. Und

00:08:14: diese wunderbare Ausgabe von Andreas Kirchherr, Kafkaes Zeichnungen, der 2021 ermöglichen ist

00:08:21: und haben auch uns ermöglicht, was die Heftplanung betrefft, systematisch Zeichnungen einzubeziehen.

00:08:27: Und auch sozusagen einige Autoren oder Autorinnen dazu anzustiften, jetzt mal die Texte oder einen

00:08:36: Text von Zeichnungen aus anzugehen und sich grundsätzlich zu überlegen, was Kafkaes Texte

00:08:44: und Zeichnungen gemeinsam haben. Das fand ich sehr, sehr spannend. Und zu diesen starken Bildern

00:08:50: kam für mich auch noch ganz neu dieses komische Element. Also, dass sie darlegen, dass Kafka auch

00:08:58: ganz viel mit Slapstick zu tun hatte. Das war mir komplett neu. Wie können wir so was denn im

00:09:04: Unterricht nutzen? Naja, also ich komme nochmal zurück auf, auf Kafkaes Affinität zum Medium Film. Wenn

00:09:13: man sich Filme von Chaplin anschaut oder von Baster Keaton und das sind dann ja wohlgemerk Dinge,

00:09:19: die Kafka gekannt hat, nachweislich, dann kann man schon sehr leicht parallel feststellen, was sozusagen

00:09:28: die Art und Weise des komischen betrifft. Das geht manchmal ein bisschen in Richtung Halbernhalt,

00:09:35: manchmal ein bisschen ins Absurde, aber es ist ganz offensichtlich sozusagen auch diesen

00:09:44: vielen Comicern abgeschaut. Und das kann man ja im Unterricht durchaus auch dann so anlegen. Und

00:09:54: das ist ja schon auch so, dass Kafkaes Sinn fürs Komische durch, nicht durch alle Texte

00:10:01: hindurchgeht, aber an ganz, ganz vielen Stellen auffindbar ist, wo man überhaupt nicht damit

00:10:06: rechnet. Vielleicht ein Beispiel, das man auch im Unterricht verwenden könnte. Das stammt aus dem

00:10:11: ersten Romanfragment. Der Verschollene sollte es heißen Amerika. Hieß es dann zunächst in der

00:10:20: Erstpublikation und da kommt ja der 16-jährige Karl, der von seinen Eltern verstoßen warten ist,

00:10:27: weil er das Dienstmädchen geschwängert hatte, ganz allein in New York an. Und dann haben wir so

00:10:35: viele Eindrücke, die auf ihn ein prasseln und unter anderem schildert Kafka in offensichtlich

00:10:46: einem Wahlkampf, sozusagen mitten im Wahlkampf, eine Szene in einer Straße, einer Straßenschlucht,

00:10:54: muss man sagen, wo ein Wahlredner, der sich aufgebaut hat und versucht, die Zuhörer von

00:11:01: sich zu überzeugen. Und dann geht die Erzählung aber weiter. Und das ist wie im Film. Nämlich,

00:11:08: sozusagen es gibt dann einen Zoom rückwärts und je weiter die Gedachte, je größer der

00:11:15: Bildaufschnitt wird, desto deutlicher wird, dieser Wahlredner ist überhaupt nicht der Einzige.

00:11:19: Aus jedem Fenster der Fassade schaut auch einer raus, der nicht zuhört, sondern selber eine

00:11:26: Rede hält. Auf den Balkonen stehen sie und das ist ein kakophonisches Durcheinander,

00:11:30: das überhaupt keinen Sinn hat. Und der Arne Kar steht da und kennt sich nicht mehr aus und ist

00:11:39: vollständig eingenommen und verwirrt von dieser Szene. Und das wird auf eine Art und Weise erzählt,

00:11:50: als sei das doch völlig klar, dass es so etwas gibt auf der Welt. Und das hat eine absolut komische

00:11:56: Seite, die sicherlich auch vielen Schülerinnen und Schülern entgegen kommt. Ich weiß noch,

00:12:01: als ich in der Schule zum ersten Mal Kafka gelesen habe, kam eine ähnliche Szene und ich habe mich

00:12:07: nicht getraut, das lustig zu finden. Ich habe mir gedacht, ich verstehe das wahrscheinlich falsch.

00:12:13: Und ich glaube, das bringen uns jetzt zur dritten These, nachdem wir schon bei den Bildern waren

00:12:19: und bei der Komik die Mehrdeutigkeit. Ja, das ist überhaupt ein Thema, das gegenwärtig in der

00:12:28: Literaturwissenschaft intensiv diskutiert wird. Das kam uns entgegen für die Hefplanung, dass das

00:12:35: so ist. Man hat also dann auch aktuelle Verweise auf allerhand neuere Literatur, didaktische Quellen,

00:12:45: die jetzt tatsächlich ernst machen, auch mit dem, was früher ja immer ein bisschen schwierig war.

00:12:52: Jedenfalls auf seiner praktischen Seite, nämlich ja, wir wollen uns ja nicht festlegen auf eine

00:12:58: Interpretation des Textes, den wir im Unterricht behandeln wollen. Wir wollen aber andererseits

00:13:05: ja auch keine Beliedigkeit haben. Die Schüler sollen den Eindruck haben, dass jeder behaupten darf,

00:13:10: was er will, das geht auf der anderen Seite ja auch nicht. Und das ist grundsätzlich schwierig.

00:13:16: sich allmählich, und Kafka ist, wenn man so will, einer der wirklich,

00:13:22: wirklich geeigneten Autoren dafür, dass man diese Erklärung voran treibt.

00:13:29: Also mehrdeutig, mehrdeutigkeit ist zwar grundsätzlich überhaupt,

00:13:35: wenn man so will, ein Merkmal literarischer Texte, um das zu sagen,

00:13:41: nicht, dass der Eindruck entsteht, wir würden das nur für Kafka

00:13:44: reklamieren, aber es existiert bei Kafka in einer solchen Bandbreite oder auf

00:13:51: einer solchen Bandbreite und mit einer bestimmten Raffinesse so,

00:13:58: dass man schon sagen kann, da haben wir den exemplarischen Fall, dass es

00:14:04: möglich ist, aber auch gleichzeitig absolut notwendig ist, verschiedene

00:14:10: deutungsvermutungen zunächst mal zu sammeln. Wie könnte man das verstehen, wie

00:14:15: könnte man es noch verstehen? Ein klassisches Beispiel ist die berühmte

00:14:20: kleine Farbe mit der Maus, die dann zwischen Mauern, die sich immer enger

00:14:26: zusammenziehen, immer weiter rennt, solange bis ganz hinten in der Ecke die Katze

00:14:31: darüber belehrt, dass sie die Laufrichtung ändern müsste, aber das ist

00:14:34: natürlich dazu zu spät, denn dann ist es schon passiert. Und da gibt es, ich habe

00:14:39: das mit Lernenden in der Schule ausprobiert, ich habe es mit Studierenden

00:14:45: immer wieder ausprobiert, eine Reihe von Möglichkeiten, wie man das verstehen

00:14:49: kann. Und der Autor des Unterrichtsmodells, das wir dazu haben,

00:14:53: Clemens Kamler, hat das also wirklich sehr, sehr schön vorgeführt. Und der

00:14:58: Punkt ist jetzt der, nicht zu sagen, okay, wir sammeln jetzt mal alles und dann

00:15:02: entscheiden wir uns für eine Deutung und dann wissen alle, wie es ist, sondern

00:15:07: zu sagen, indem wir durch unser Unterrichtsgespräch festgestellt haben,

00:15:14: dass für verschiedene Deutungen Argumente existieren und dass es auf die

00:15:19: Perspektive und bei diesem Text besonders ganz wesentlich auf die

00:15:24: Lebenserfahrung derjenigen ankommt, die die Deutungsvermutungen äußern. Und

00:15:29: deswegen hat man auch in der Grundschule antworten, die sind aber notwendig

00:15:33: andere als die in der Oberstufe des Gymnasiums. Und das alles kann ein

00:15:37: Kafka-Text aushalten. Und der Sinn der Sache liegt dann ja nicht darin, dass

00:15:43: wir am Ende eine Deutung haben, die man in Zäfte schreiten kann, sondern dass

00:15:48: ein literarisches Gespräch stattgefunden hat, dass tatsächlich der

00:15:53: Literatur als Literatur gerecht wird und denen, die dabei waren, dann auch die

00:16:02: Möglichkeit gibt, sich schon auch selbst zu entscheiden, was leuchtet mir

00:16:08: ein, was leuchtet mir nicht so ein, aber eben nicht, wenn man so will, auf die

00:16:12: Autorität einer Lehrkraft angewiesen ist, die irgendwie sagt, naja, jetzt

00:16:17: wissen wir das, so muss man das interpretieren.

00:16:21: Mit solchen Texten machen wir unseren Schülern in meinen Augen ja auch ein

00:16:24: wunderbares Geschenk. Wir machen ihnen Texte zugänglich, die sie über ein

00:16:29: ganzes Leben weiterentwickeln können. Und da hat mir besonders gut gefallen, dass

00:16:34: in dieser Ausgabe wirklich das von der vierten Jahrgangsstufe an losgeht, wo

00:16:38: man sich zum ersten Mal mit Kafka auseinandersetzen darf und seinen

00:16:41: Bildern und das eben dann bis in die Oberstufe geht.

00:16:44: Ich wollte mal kurz noch was sagen, sozusagen zur Bandbreite der

00:16:50: Jahrgangsstufen und zur Brauchbarkeit Kafka mit jüngeren Lernenden, denn das ist

00:16:57: eigentlich die Tradition. Also die Tradition ist ja, Kafka kommt so

00:17:01: ab Klasse 10 vor und dann muss man halt versuchen, unterzubringen, was noch

00:17:07: geht bis zum Abitur. Und das widerspricht eigentlich auch dem, was sich

00:17:11: vorhin gemeint habe, als ich gesagt habe, Kafka lässt sich in seiner

00:17:17: Bedeutungsoffenheit und Mehrdeutigkeit natürlich unterschiedlich lesen und

00:17:22: das ist legitim, das zu tun. Und es wäre furchtbar schade, wenn wir die

00:17:26: jüngeren Lernenden nicht einbeziehen würden, jedenfalls bestimmte Texte

00:17:33: Kafka lassen sich eben auch in der, im Übergang zwischen Grundschule und

00:17:40: weiterfüllten Schulen gebrauchen und in der Mittelstufe sowieso.

00:17:47: Also das wollte ich nur gerade noch noch sagen.

00:17:49: Beim Thema Mehrdeutigkeit hätte ich noch eine letzte Frage.

00:17:52: Es fällt mehrmals das Stichwort unzuverlässiges Erzählen.

00:17:55: Da gibt es auch ein Unterrichtsmodell dazu. Können Sie unseren Hörerinnen und

00:18:01: Hörern kurz erklären, was damit gemeint ist?

00:18:03: Ja, gerne. Ich mache es an einem Beispiel, das wir auch aufgegriffen haben.

00:18:09: Der Vorschlag kam von zwei Kollegen von Herrn Magirius und Herrn Lösener, die diesen

00:18:20: Text dann auch verwenden wollten in ihrem Beitrag. Der Text heißt "der Nachbar".

00:18:24: Und das ist sozusagen ein Monolog oder wenn man so will eine Tierade eines

00:18:30: Kaufmanns, der ein Büro betreibt in einem größeren Gebäude und der nichts

00:18:37: anderes tut die ganze Zeit als sich zu beklagen über seinen Nachbarn, mit dem

00:18:43: er Wand an Wand da arbeitet und dieser Nachbar hat angeblich auch ein Büro

00:18:48: aufgemacht und ist die direkte Konkurrenz. Das geht eigentlich gar nicht.

00:18:54: Der Erzähler der Kaufmann wirkt auch sehr, sehr angespannt und nervös und

00:19:06: irritiert und auch wütend und behauptet alle möglichen Dinge zum Beispiel, dass

00:19:12: der Nachbar, den er noch nie gesehen hat, der auf der anderen Seite der Wand seinen

00:19:16: Büro hat, dass der den ganzen Tag mit dem Ohr an der Wand da steht und

00:19:22: lauscht, was da passiert und dann auch dann zum Telefon schleicht und die

00:19:27: selben Kunden anruft nachher und so weiter. Also ich kann das hier abbrechen.

00:19:31: Es ist also völlig klar, dass wir eine wilde Geschichte erzählt bekommen und

00:19:36: dass wir einen unzuverlässigen Erzähler vor uns haben, dem wir schlicht und

00:19:41: einfach nicht alles glauben dürfen. Wir kriegen im Grunde wenig gesagt über

00:19:47: diesen anonymen Menschen auf der anderen Seite der Wand. Wir kriegen aber sehr

00:19:53: viel gesagt über den Bewusstseinszustand des Erzählers und über eine

00:20:00: prekäre, auch geschäftliche Situation, in der er sich zu befinden scheint und die

00:20:07: beiden Kollegen haben jetzt folgendes gemacht, die haben diesen Text einem

00:20:13: KI-Programm zu lesen geben, Chart GPT, um genau zu sein und das war sozusagen die

00:20:20: Grundlage eines Dialogs, der dann geführt wird und der dann auch im

00:20:26: Unterricht tatsächlich auch stattfinden kann, denn das Programm lässt sich ja

00:20:33: immer wieder neu einsetzen, sodass am Ende eigentlich es kommt heraus, dass

00:20:42: das Programm schreibt dann tatsächlich einen Brief an den Erzähler, in dem

00:20:51: diese ganzen Eigenartigkeiten und Widersprüche dann genannt werden und in

00:20:58: dem dann auf den Erzähler eingewirkt werden, jetzt mal noch mal zu überlegen,

00:21:05: ob das alles überhaupt wahr sein kann, was er da erzählt und das hat ja jetzt nicht,

00:21:11: das haben nicht Lernende geschrieben, zumindest die Rohfassung stammt von

00:21:17: Chart GPT, wird aber dann in einer Überarbeitungsschleife auch noch mal

00:21:22: natürlich angepasst, immer mit Blick auf den Text, um den es geht.

00:21:27: Also das hat mich sehr überzeugt und es hat eben dann sozusagen auch das

00:21:33: allerneueste Medium ja noch mal dazu gebracht, wo man sehr gerne wüsste, was

00:21:38: Kafka darüber denkt, dass man jetzt tatsächlich auch Computer gestützt, also

00:21:46: KI generierte Texte haben kann, man kann ja auch literarische Texte mit

00:21:53: diesem Programm erstellen und sie dann aber weiter bearbeiten, das wäre ganz

00:21:58: wichtig an der Stelle. Ja, also jedenfalls Unzuverlässigkeit des

00:22:03: Erzählens oder der Erzähler ist bei Kafka immer wieder da und ist eine von

00:22:10: mehreren Strategien, mit denen man mehr Deutigkeit erzeugen kann. Das funktioniert

00:22:15: in diesem Unterrichtsmodell zu dem Text der Kaufmann dann so, dass wir im

00:22:22: Unterricht annehmen, der Kaufmann hat zwei Sekretärinnen, die sich schon die

00:22:26: ganze Zeit natürlich darüber wundern, was der so alles von sich gibt und irgendwie

00:22:31: überlegen, was kann man denn da machen und dann werden Rollen verteilt. Die

00:22:37: eine Sekretärin, das sind die Lernenden in der Klasse, die zweite Sekretärin ist

00:22:43: die KI und die beiden miteinander versuchen jetzt irgendwie einen Brief

00:22:48: zu formulieren. Und deswegen kann die Chartipiti die Rohfassung machen und die

00:22:55: andere Sekretärin, also die Schülerinnen, gucken dann noch mal drüber und

00:23:00: überlegen, wie können wir das ein bisschen vorsichtiger formulieren, wie

00:23:06: kriegen wir das überhaupt hin, dass er nicht vor Wut platzt, wenn er das liest,

00:23:11: also wie können wir ihm gut zureden und so weiter und das funktioniert im

00:23:15: Wechselspiel zwischen der Klasse und verschiedenen Textentwürfen, die KI

00:23:22: generiert sind. Ich glaube, dieses Ausreizen der medialen Möglichkeiten hätte

00:23:26: Kafka gut gefallen. Eine letzte These haben wir noch zu seinen

00:23:31: traumartigen Erzählungen, die geradezu dazu herausfordern, selbst Kafkaeske

00:23:37: Geschichten zu erfinden. Welche Möglichkeiten im Schreiben haben wir

00:23:41: denn da? Ja, also es ist ja ganz klar, dass wir immer wieder bei Kafka auf

00:23:47: Szenen stoßen, wenn man sie hört, die sich anhören, als habe sie jemanden

00:23:56: geträumt. Das sind eigenartige Szenen, in denen zum Teil absurde, zum

00:24:05: Teil ja komische, zum Teil aber auch ganz grausame Dinge passieren und so wie

00:24:11: man das manchmal ja in Albträumen eben auch hat. Und das kann natürlich schon

00:24:18: abgesehen davon, dass diese Texte natürlich ihrerseits wiederum auch mehr

00:24:24: deutlich sind und so weiter und literarische Gespräche denkbar wären, das

00:24:28: hatten wir vorhin. So können aber gerade solche Texte eben auch als

00:24:33: Vorlagen dienen für eigene Erfindungen der Lernenden. Auch dazu haben wir ein

00:24:39: Unterrichtsmodell, das Kafka glaube ich besonders gefallen hätte, weil es da um

00:24:45: Adaptionen durch das Medium-Film geht. Die Lernenden überlegen sich, eine

00:24:51: solche ja fantastische, unheimliche oder in irgendeiner Form dann traumartige

00:24:59: Geschichte und schreiben aber jetzt nicht einen sozusagen papierenden Text, sondern

00:25:05: machen eine Planung für einen Kurzfilm. Dazu muss man natürlich jetzt ein

00:25:10: bisschen medienspezifisches Wissen vermitteln. Wie werden Filme geplant und

00:25:16: wie kann man die Planung der einzelnen Szenen jetzt auch konkretisieren? Das

00:25:22: sind dann keine linearen Texte, sondern das sind dann Storyboards mit

00:25:28: einfachen komikartigen Zeichnungen und auf diese Art und Weise kann man die

00:25:33: Handlung eines Kurzfilms dann festlegen und am Anfang steht aber wie gesagt,

00:25:38: dass die Lernenden sich solche Geschichten ausdenken und dann hinein geführt

00:25:45: werden in die Adaption, sodass man am Ende jeweils einen Kurzfilm hat und ich

00:25:52: glaube, das hätte Kafka außerordentlich fasziniert, weil das er nun, wie gesagt,

00:25:58: auch ein Medium ist, das er sehr geschätzt hat.

00:26:02: Kann mir auch gut vorstellen, allerdings fällt es mir fast schwer, mich zu

00:26:06: entscheiden welches Modell ich gerne im Unterricht umsetzen würde, weil wirklich

00:26:10: wunderbare Ideen da sind. Ich danke Ihnen vielmals für dieses Gespräch.

00:26:16: Bitte schön. Danke schön. Ihnen auch das war einfach unterrichten der podcast

00:26:25: von friedrich plus aus dem Friedrich Verlag. Wir bringen innovativen

00:26:29: Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt.

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