Biologie: Alles sicher, oder?

Shownotes

Ungewissheit ist nicht nur ein Merkmal menschlichen Lebens, sondern auch ein Kernmerkmal der Wissenschaftsdisziplin Biologie. Wie kann Ungewissheit im Biologieunterricht thematisiert und diskutiert werden? Hier findest du Antworten.

Unsere Top-Tipps für deinen Unterricht:

Ungewissheit hat immer mit begrenztem Wissen über zukünftige, vergangene oder aktuelle Gegenstände, Phänomene und Situationen zu tun. Ungewissheit ist essentiell für die Naturwissenschaften: sie ist der Motor, der Wissenschaftler:innen antreibt. Lernende sollten in Schule und Unterricht viele Möglichkeiten erhalten Ungewissheit als Teil der Lebenswirklichkeit kennenzulernen – dies gilt auch für den Biologieunterricht.
Ungewissheit im Biologieunterricht zu thematisieren, hilft beim Aufbau eines adäquaten Wissenschaftsverständnisses. Lernende können durch Aufgeschlossenheit gegenüber Ungewissheit im Biologieunterricht zum selbstständigen Fragenstellen und wissenschaftlichen Forschen angeregt werden.


Mehr dazu erfährst du in der Ausgabe 487 „Ungewissheit“, von Unterricht Biologie, erschienen im Friedrich Verlag.


Im Podcast hörst du Moderatorin Christina Wurst im Gespräch mit Prof. Dr. Julia Schwanewedel (Autorin, Herausgeberin, Professorin für Biologiedidaktik).

Transkript anzeigen

00:00:00: Einfach unterrichten. Der Podcast von Friedrich Plus aus dem Friedrichverlag. Wir bringen

00:00:10: innovativen Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt. Willkommen zurück in unserem Podcast "Einfach

00:00:17: unterrichten des Friedrichverlags". Auch heute wollen wir den neusten Stand der Biologiefachdedaktik

00:00:22: anhand von fünf spannenden Thesen erörtern. Diesmal zum Themengebiet der Ungewissheit.

00:00:27: Ich bin wieder eure Moderatorin, Kristina Wurst vom Institut für Digitales Lernen. Ich spreche

00:00:32: hier mit den Menschen hinter den Unterrichtsideen des Friedrichverlags. Meine Gesprächspartnerin ist

00:00:38: heute Julia Schwanewedel. Sie ist Professorin für die Dedaktik der Biologie an der Uni Hamburg.

00:00:44: Hallo! Sie hat sich für die neueste Ausgabe von Unterricht Biologie erschienen im Friedrichverlag,

00:00:50: damit auseinandergesetzt, die Ungewissheit in Biologieunterricht thematisiert und diskutiert

00:00:55: werden kann. Wir werden uns mit diesem Thema anhand von fünf Thesen befassen, die die zentrale

00:00:59: Bedeutung für den Biologieunterricht herausstellen. So Ungewissheit, das habe ich auch ein bisschen

00:01:07: empfunden vor diesem Podcast, weil ich nicht so ganz wusste, was mich heute erwartet und

00:01:11: ich am besten durch dieses Thema führe. Kannst du für uns kurz zusammenfassen, was Ungewissheit

00:01:16: überhaupt bedeutet und wie sie entsteht? Ja, vielen Dank für deine Einführung. Und ja,

00:01:21: Ungewissheit ist ein total komplexer Begriff und gleichzeitig ist er ziemlich unscharf. Im Alltag

00:01:27: verwenden wir Ungewissheit, wir benutzen aber auch den Begriff Risiko oder Unsicherheit. Es gibt

00:01:33: also ganz viele Begriffe. Alle Begriffe beschreiben eigentlich, dass die Details von bestimmten

00:01:40: Situationen oder Phänomenen, dass die mehrdeutig sind, dass die komplex sind, dass die nicht

00:01:45: vorhersehbar sind oder dass sie robabilistisch sind. Und wenn wir den Begriff Ungewissheit verwenden,

00:01:53: dann heißt es irgendwie immer bestimmte Informationen, die sind nicht verfügbar oder die

00:01:59: sind nicht konsistent, die sind so ein bisschen inkonsistent oder Menschen fühlen sich einfach

00:02:04: unsicher, was ihren eigenen Wissenstand oder den Wissenstand im Allgemeinen angeht. Und wenn

00:02:11: wir jetzt über Ungewissheit in der Biologie und im Biologieunterricht sprechen, dann bezieht sich das

00:02:16: immer auf Wissen beziehungsweise Nicht-Wissen. Ungewissheit heißt also, wir wissen etwas

00:02:22: nicht oder wir wissen etwas noch nicht oder wir wissen etwas nicht genau. Und Ungewissheit ist

00:02:30: damit also immer begrenztes Wissen und zwar betrifft das sozusagen die Dinge, die in der

00:02:35: Zukunft liegen, die Dinge, die uns jetzt aktuell betreffen, aber auch Dinge, die in der Vergangenheit

00:02:40: nehmen. Also wir reden dann weniger von einem mulmigen Gefühl, sondern von einem Zustand unseres

00:02:45: Wissens. In welchen Situationen begegnet uns denn solche Ungewissheit? Im Moment ganz aktuell ist

00:02:52: der Begriff der Ungewissheit total präsent. Also gesellschaftlich auch in den Medien ist er in

00:02:59: den letzten Jahren auch deutlich populärer geworden. Er wird vielfach verwendet. Unter

00:03:04: anderem globale Krisen wie der Klimawandel oder die Covid-19-Pandemie, die haben halt diesen

00:03:11: Umgang mit Ungewissheit auch in den Naturwissenschaften in der Biologie ganz stark in den Fokus der

00:03:16: gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Und wir können das vielleicht am Beispiel der

00:03:20: Covid-19-Pandemie deutlich machen, aber auch im Bereich des Klimawandels zeigt sich, dass Teile

00:03:25: der Gesellschaft einzelne Menschen oder auch Gruppen, dass sie das sehr irritieren finden,

00:03:31: dass sich zum Beispiel Evidenzen in der Wissenschaft widersprechen oder dass Wissenschaftler auf

00:03:37: Basis gleicher Daten ganz unterschiedliche Interpretationen machen oder dass unterschiedliche

00:03:43: Schlussfolgerungen aus die gleichen Daten möglich sind und ungewissheitenden Bezug auf

00:03:48: Vorhersagen bestehen. Und ja, das ganz konkret können wir das vielleicht am Beispiel der

00:03:55: Masken machen innerhalb der Pandemie. Da wurde ja vielfach die Wirkung von Masken diskutiert.

00:04:01: Und hier sind aus unterschiedlichen Daten zum Teil eben auch unterschiedliche Schlussfolgerungen

00:04:09: gezogen werden. Ein weiteres Beispiel sind Wettervorhersagen. Also der Klimawandel verstärkt

00:04:15: die Häufigkeit und auch die Intensität von Extremwetterereignissen. Und dadurch werden

00:04:21: Vorhersagen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schwieriger. Und das wiederum führt

00:04:26: dazu, dass Menschen ja irritiert sind darüber über diese Ungewissheit.

00:04:32: Das klingt ja jetzt erst mal so ein bisschen negativ, aber du hast die These aufgestellt,

00:04:37: dass Ungewissheit eigentlich gar nicht schlecht ist, sondern essentiell ist für die Naturwissenschaften.

00:04:42: Sie ist der Motor, der die Wissenschaftlerin antreibt, hast du geschrieben. Wie dreibt

00:04:47: sie denn die Forschung an? Ja, also Zinäster mal stimmt, das klang etwas negativ, das will

00:04:53: ich jetzt gleich mal wieder gut machen. Die wichtigste Botschaft ist, dass Ungewissheit

00:04:57: was total normal ist, innerhalb aller naturwissenschaftlichen Disziplinen ist. Das wird aber von Laien

00:05:03: und das war so vielleicht das negative des Bild, was viele Laien haben, die nichts mit

00:05:09: Naturwissenschaften in ihrem Beruf zum Beispiel zu tun haben, wird das meist nicht so wahrgenommen.

00:05:14: Also sowohl Schülerinnen als auch Schüler, wie auch gesamtgesellschaftlich, haben wir

00:05:21: häufig im Bild von Biologie, Chemie und Physik, als so ganz präzisen, ganz klar definierten Disziplinen.

00:05:27: Die Disziplinen, die häufen ganz viel Fakten an und die kennen quasi die objektive Wahrheit

00:05:34: über unsere belebte und unbelebte Natur. Und genau dieses Verständnis hat auch mit dem Unterricht

00:05:42: zu tun, wie er häufig zumindest stattfindet. Naturwissenschaftliche Themen werden ganz

00:05:46: häufig so als fixe Wissensbestände unterrichtet und im Unterricht erscheinen die Themen oder

00:05:52: die Naturwissenschaften dadurch so wie eine Reihe eindeutige Antworten. Das wissen wir aus der

00:05:57: Biologie, das aus der Chemie, das aus der Physik. Und was eigentlich entscheidend ist, ist nicht

00:06:04: dass Naturwissenschaften so eine Reihe von klaren Antworten ist, sondern wenn man genau hinguckt,

00:06:09: dann ist das Kerngeschäft von Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern Fragen an die

00:06:14: Welt zu stellen, an die Belebte und an die Unbelebte Welt zu stellen. Naturwissenschaftlerinnen und

00:06:19: Naturwissenschaftler machen eigentlich genau das. Sie stellen Fragen über die Welt, über die

00:06:23: Belebte und unbelebte Natur und versuchen sie über empirische Untersuchungen zu klären. Und genau

00:06:30: dieses Forschende, bei diesem Forschenden Vorgehen entsteht an ganz ganz vielen Stellen eben Ungewissheit.

00:06:36: Sprechen wir dann immer von derselben Ungewissheit oder gibt es da auch verschiedene Formen der

00:06:41: Ungewissheit? Es gibt eben, hast du schon richtig rausgehört, das war im Plural, im Prinzip haben

00:06:47: wir verschiedene Formen von Ungewissheiten, die auftreten. Eine Ungewissheit, die man

00:06:53: sich ziemlich gut vorstellen kann, ist die überwindbare Ungewissheit. Es gibt immer Dinge,

00:07:00: auch in Bezug auf die Biologie, die wir gerade noch nicht wissen. Wir haben also Wissenslücken. Zum

00:07:08: Beispiel über die genaue Ursache der Parkinson-Erkrankungen oder warum wir Menschen rund ein Drittel

00:07:14: unseres Lebens schlafend verbringen. Das wissen wir nicht. Und diese Ungewissheit ist aber überwindbar,

00:07:19: weil wir können genau dazu Forschungsfragen stellen, Untersuchungen durchführen und versuchen diese

00:07:25: Ungewissheit, diese Wissenslücken zu überwinden. Das ist eine Form. Eine zweite Form ist eine

00:07:32: technische Ungewissheit, die ist auch völlig normal in den Naturwissenschaften. Bei allen

00:07:36: biologischen Untersuchungen, bei Experimenten, trieten zum Beispiel Messabweichungen auf. Und durch

00:07:42: diese Messabweichungen sind viele Aussagen begrenzt. Auch das ist eine Form von Ungewissheit. Und

00:07:49: Last but not least, und das ist vielleicht die sehr schwer zu verstehende Ungewissheit,

00:07:53: gibt es eine unüberwindbare Ungewissheit, die geht also quasi gar nicht weg. Das heißt,

00:08:01: einfach gesprochen biologisches Wissen, all das Wissen, was wir haben, was wir durch

00:08:05: Untersuchungen sozusagen erlangen, ist und bleibt immer vorläufig. Weil wir eben nicht wissen,

00:08:13: wie zukünftige Forschung bestimmte Daten, bestimmte Theorien, unser derzeitiges Wissen

00:08:19: verändern werden. Ist so ein Beispiel für so etwas, dass wir lange geglaubt haben,

00:08:24: bevor wir was Neues gelernt haben? Da gibt es richtig, richtig viele Beispiele in der Biologie.

00:08:30: Eines aus der etwas neueren Zeit ist, dass zum Beispiel die Genesequenzierung, die so um das Jahr

00:08:36: 2000 abgeschlossen wurde und entwickelt wurde, dazu geführt hat, dass man festgestellt hat,

00:08:43: dass wir Menschen zu 90 Prozent mikrobiell sind und dass wir zu noch zu viel mehr Prozent aus Viren

00:08:50: bestehen. Das heißt, wir Menschen sind quasi viele. Wir sind ein sogenannter Metaorganismus. Und diese

00:08:58: Metaorganismusentdeckung, die hat wiederum ganz viele lange geltende Erkenntnisse, also ganz viel

00:09:04: Wissen, was ganz lange Zeit vorgeherrscht hat, als sozusagen richtig, als gültig angesehen wurde.

00:09:11: Aber diese Entdeckung hat es wiederum verändert. Und das ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir

00:09:16: immer davon ausgehen müssen, dass unsere Erkenntnisse sich sozusagen, dass sie widerlegt werden,

00:09:24: dass wir zukünftige Forschung, das Beobachtung, das Daten dazu führen, dass der heutige Wissenstand

00:09:31: sich sozusagen verändert. Das ist diese unüberwindbare Ungewisse. Aber genau diese Möglichkeit,

00:09:37: unser Wissen zu revolutionieren, das treibt natürlich auch die Forscher intäglich an.

00:09:42: Und letztendlich ist das ja auch der Grund, wie sie Experimente entwerfen, um ein Phänomen besser

00:09:49: verstehen zu können. Und da denke ich uns natürlich, wenn wir überlegen, was bringt

00:09:53: uns das im Unterricht sofort ans Experimentieren im Unterricht. Aber häufig so in meiner Erinnerung

00:09:59: an meine Schulzeit war es dann so, dass beim Experimentieren von vorneherein schon klar war,

00:10:05: was passieren wird oder das im Idealfall hätte passieren können. Da ist natürlich jetzt die

00:10:10: Frage, sollen wir da mehr Ungewissheit zulassen, kann es auch lernförderlich sein und die Motivation

00:10:15: erhöhen oder führt das jetzt eher zu Fuß bei Lernen, wenn ich schon genau klar ist,

00:10:20: das wird am Ende bei rauskommen. Also du beschreibst ja so ein zweischneidiges Schwert. Wenn

00:10:26: wir sozusagen, wenn Schülerinnen und Schüler eben nicht genau wissen, was herauskommt zu

00:10:32: Video, das schreibst du beim Untersuchen, beim Experimentieren, dann kann das natürlich zu

00:10:36: Frust führen. Aber was ich ganz, ganz wichtig finde hier als Botschaft, das liegt vor allem darin,

00:10:45: dass die Schülerinnen und Schüler von Anfang an ihres naturwissenschaftlichen Unterrichts,

00:10:49: ihres Biologieunterrichts beigebracht bekommen haben, dass es in den Naturwissenschaften in der

00:10:54: Biologie meistens eine richtige Lösung gibt oder ein bestimmtes Ergebnis. Und genau das kann und

00:11:03: sollte man aber auch aufknacken. Zum Beispiel, indem ich die Schülerinnen und Schüler von Beginn

00:11:08: eigentlich des Fachunterrichts Biologie in den meisten Bundesländern ist, ist ja in der fünften

00:11:14: Klasse. Ich kann aber auch schon eine Grundschule damit anfangen, indem ich immer wieder die

00:11:19: Forschen lernen lasse. Sie also ganz selbstständig eigene Wissenslücken finden lasse, die eigene

00:11:28: Untersuchungen durchführen lasse und auch bei diesen Untersuchungen die Ungewissheit entdecken

00:11:34: lasse. Und zum Beispiel, indem ich in der Klasse auch unterschiedliche Lösungswege oder unterschiedliche

00:11:41: Lösungen diskutiere und nicht das Klassische, was wir häufig kennen, dass ich warte, na, wer hat

00:11:47: denn jetzt die richtige Lösung? Also sie zulaufen immer auf diese eine Lösung, sondern dieses

00:11:52: Diskutieren von Ungewissheiten, das Diskutieren von Lösungswegen und Lösungen, wer zum Beispiel

00:11:57: etwas, was man von Anfang an üben kann. Und dann wäre meine These und es zeigen auch einige

00:12:03: Forschungsergebnisse schon, dass der Frust bei Schülerinnen und Schülern dann gar nicht so hoch.

00:12:09: Und jetzt ist das schon natürlich Experiment ist sehr naheliegend, aber ich

00:12:13: gibt es auch andere Bereiche, in denen ich Ungewissheit veranschaulichen kann?

00:12:16: Ja, also besonders leicht ist es natürlich, wenn ich praktisch biologische Untersuchungen mache,

00:12:22: das kann man sich vorstellen, weil da eben Schülerinnen und Schüler sehr, sehr selbstständig

00:12:26: Ungewissheitsaspekte, Ungewissheitsformen entdecken können, aber auch in anderen Kontexten und bei

00:12:32: anderen Themen kann Ungewissheit im Biologieunterricht angesprochen werden. Zum Beispiel in Klassika,

00:12:37: die Kontroverse im Bereich Evolution, die Erklärung von Lamarck und die Erklärung von Darwin zur

00:12:44: Veränderung von Arten ist ein gutes Beispiel für eine Konsensungewissheit in der Biologie. Wir haben

00:12:51: in der aktuellen Ausgabe dazu einen spannenden Beitrag und damit deutlich, dass zur damaligen

00:12:57: Zeit, zu der das Stadtgefunden hat, Lamarck nicht einfach derjenige war, der falsch schlag, sondern

00:13:03: dass es durchaus ganz lange diese wissenschaftliche Kontroverse, also diese Ungewissheit, dazu gar.

00:13:10: Und auch neue Erkenntnisse aus der Epigenetik zum Beispiel, die haben ja Lamarck's Aussagen noch

00:13:16: mal wieder ins Blickfeld gerückt. Und da wird auch die stets vorhandene Vorläufigkeit aller

00:13:22: Erkenntnisse deutlich, und zwar ohne, dass die Naturwissenschaft irgendwie beliebig ist.

00:13:28: Ich darf nur Lamarck. Das sind ja jetzt schon recht alte Beispiele. Da könnte man jetzt meinen,

00:13:34: okay, die Leute damals, die wussten es einfach nicht besser, die haben vielleicht auch keine

00:13:37: so guten Messinstrumente und Techniken, wie wir gibt es auch moderne Beispiele, dass

00:13:42: Ungewissheit noch immer eine Rolle in wissenschaftlichen Kontroversen spielt.

00:13:46: Ich würde erst nochmal sagen wollen, dass die neuen Diskussionen zum Beispiel im Bereich der

00:13:51: Epigenetik eben gerade zeigen, dass Lamarck und Darwin ja kein alter Hut sind und dem Beitrag

00:13:58: die wir in der Ausgabe zu Lamarck und Darwin haben zu der Grundsensungewissheit zeigt ja gerade

00:14:04: auf, dass es eben nicht darum geht, dass Lamarck es einfach nicht besser wusste und dass sie damals

00:14:10: noch nicht die angemessenen Methoden hatten. In der Aussage steckt ja so ein bisschen so ein

00:14:16: nicht ganz angemessenes Wissenschaftsverständnis. Also das, was viele denken. Also viele denken,

00:14:21: früher wusste man noch nicht alles, heute weiß man halt alles besser. Und das ist aber schlicht

00:14:27: weg falsch. Vielmehr ist es so, dass damals wie heute waren alle Erkenntnisse und sind alle

00:14:33: biologischen Erkenntnisse immer die besten, die man aufgrund der empirischen Forschung,

00:14:39: aufgrund der Untersuchungen hat. Dennoch bleiben die Erkenntnisse immer vorläufig. Das heißt,

00:14:45: sie sind mit dieser unüberwindbaren Ungewissheit behaftet, weil sie durch zukünftige andere

00:14:53: Erkenntnisse verändert werden. Also das ist erstmal so ganz zentraler Punkt, warum ich sagen würde,

00:14:59: Lamarck und Darwin sind ja gar nicht so ein alter Gut. Jetzt haben wir schon so ein bisschen gesprochen,

00:15:05: so könnte man das im Unterricht thematisieren, auch so ein bisschen schon über die akademischen

00:15:09: Kontroversen. Aber der Umgang mit Ungewissheit ist jetzt nicht nur für den Unterricht oder für

00:15:13: die akademische Forschung von großer Bedeutung. Sonst wäre auch wenn wir jetzt an die Verbreitung

00:15:18: von Fake News denken, gerade in Bezug auf so naturwissenschaftliche Themen wie Covid-19,

00:15:24: Impfung, Klimawandel. Da merken wir, dass es vielen Menschen schwer fällt mit noch Fehlenden oder

00:15:31: sich scheinbar widersprechenden Wissenschaftlernen Aussagen konfrontiert, das heißt ja auch ganz am

00:15:36: Anfang bei seinen Einstiegsbeispielen schon angesprochen. Und dann sind natürlich Verschwörungstheorien

00:15:44: oder so alternative Fakten dann oft sehr attraktiv, dann sie versprechen ja vermeintlich einfache

00:15:50: Antworten auf richtig komplexe Fragen. Hast du Ideen, wie hier der Umgang mit Ungewissheit

00:15:56: im Unterricht helfen kann, auch mit den komplexen wissenschaftlichen Themen, die uns im Alltag

00:16:01: begegnet, besser umzugehen? Ja, da würde ich als Erstes sagen, wenn ich jetzt mit dem

00:16:06: Biologieunterricht vorstelle und wenn ich schon als Schülerin im Biologieunterricht erfahre,

00:16:13: dass diese Ungewissheit quasi völlig normal ist, dass sie zur Naturwissenschaft zur Biologie

00:16:19: dazu gehört, dann denke ich eben vielleicht nicht an eine Verschwörung oder an unglaubwürdige

00:16:26: Wissenschaft, wenn sich im Laufe mehrere Wochen zum Beispiel die Erkenntnisse zum Tragen von

00:16:31: Masten verändern. Dann kann ich nämlich erkennen, neue Untersuchungen, zum Beispiel mit mehr Probanden

00:16:37: bei den Masten, mit anderen Probanden oder unter veränderten Bedingungen, wo man Masten trägt,

00:16:42: haben halt schlichtweg andere Daten geliefert und diese anderen Daten führen dann zu neuen

00:16:49: Erklärungen innerhalb der Wissenschaft. Und wenn ich nämlich erkenne, dass Ungewissheit zur

00:16:55: Naturwissenschaft zur Biologie dazu gehört, dann kann ich Aussagen von so selbsternannten

00:17:01: Aufklärern, wie wir sie in der Covid-19-Pandemie ja vielfach erlebt haben, auch im Netz oder zur

00:17:06: Unglaubwürdigkeit von Wissenschaft, dann kann ich die entzaubern, als das, was sie sind,

00:17:11: das ist Populismus und Pseudowissenschaft. Wie können jetzt vielleicht so ganz konkret,

00:17:15: gerade auch wenn wir bei dem Beispiel Covid bleiben, die Thematisierung in einer Schulstunde

00:17:20: aussehen? Einige Beispiele habe ich ja jetzt schon bereit genannt, aber konkret zur Covid gibt es in

00:17:26: der aktuellen Ausgabe auch einen Beitrag zur Ungewissheit in Bezug auf Simulationen zu SARS-CoV-2.

00:17:33: In der naturwissenschaftlichen Forschung werden ja vielfach Simulationen als Werkzeuge verwendet,

00:17:39: zum Beispiel um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten vorherzusagen. Und wenn Phänomene sehr

00:17:46: komplex sind, dann ist es eben erforderlich, dass Ungewissheiten im Rahmen der Simulation berücksichtigt

00:17:51: werden. Unter anderem werden in so einer Simulation ja immer diese technischen Ungewissheiten

00:17:57: berücksichtigt. Die werden auch in Simulationen zum Beispiel zur Covid-19 zu tragen von Masten,

00:18:02: zur Ausbreitung von Viren, werden diese technischen Ungewissheiten auch dargestellt,

00:18:08: dass sie die werden zum Beispiel durch Nährung, Konfidenzintervalle oder Wahrscheinlichkeiten

00:18:12: dargestellt. Und auch so eine Simulation selber enthält Ungewissheit, weil sie ja ein Modell ist,

00:18:20: ein Modell, was die Realität abbildet, aber nicht die Realität selber ist. Das heißt,

00:18:25: die Simulation kann nicht alles abbilden, was in der Realität der Fall ist. Das heißt,

00:18:31: sie enthält eben auch Ungewissheit. Und bestimmte Ereignisse, das kann ich mit Schülerinnen und

00:18:38: Schüler am Beispiel so einer SARS-CoV-2 Simulation ziemlich gut herausarbeiten, dass die unterschiedlichen

00:18:45: Ergebnisse der Simulation eben auch einer Ungewissheit unterliegen. Wer infiziert sich,

00:18:51: wer ist Träger des Virus, wer steht zufällig um Umfeld eines Trägers und so weiter. Auch hier

00:18:57: haben wir Ungewissheitsaspekte, die in so einer Simulation mit Schülerinnen und Schülern wirklich

00:19:02: entdeckt werden können und themativisiert werden können. Und dann neben so einer Computersimulation,

00:19:10: zum Beispiel zur Ausbreitung von Viren, kann ich natürlich auch mit allen anderen Formen von

00:19:15: Modellen mit Schülerinnen und Schülern darüber reden, wo es eigentlich hier sind, hier Ungewissheitsaspekte enthalten.

00:19:22: Experimente und Simulations sind ja eigentlich eine total super spannende Erfahrung für Schüler*innen,

00:19:28: aber sie sind ja leider auch oft sehr zeitaufwendig, sodass sie da doch oft eher sparsam eingesetzt

00:19:34: werden. Gibt es auch andere Bereiche des Biologieunterrichts, in denen ich Ungewissheit als Teil

00:19:40: der biologischen Forschung thematisieren kann? Also da würde ich vor allem dafür plädieren,

00:19:45: dass die Formen von Ungewissheit im Unterricht wirklich explizit benannt werden. Und das kann

00:19:52: ich eigentlich kontinuierlich und immer wieder machen. Also kumulativ von der fünften bis zur

00:19:57: zwölften, dreizehnten Klasse kann ich das immer wieder tun. Und wenn es um das Wie geht, dann kann

00:20:02: man eben verschiedene Konzepte eignen sich sehr gut. Konzepte wie das Forschende Lernen oder auch die

00:20:08: Arbeit, Lamaq Darwin, die Arbeit mit historischen Fallstudien eignen sich sehr gut, um Ungewissheitsaspekte

00:20:15: aufzuzeigen. In älteren Jahrgangsstufen würde ich alle Kolleginnen und Kollegen wirklich animieren,

00:20:21: zum Beispiel bei den Ansatz "adapted primary literature" zu verwenden. Klingt jetzt kompliziert.

00:20:26: Heißt einfach, ich nehme Originalfachartikel, Originalartikel von Wissenschaftlerinnen und

00:20:32: Wissenschaftlern zu den Themen und passe sie vor allem sprachlich an. Ich kürze sie und anhand

00:20:37: solcher Fachartikel können Schülerinnen und Schüler relativ schnell den Umgang mit Ungewissheit in

00:20:42: der Forschung kennenlernen, weil nämlich grundsätzlich in einem so eine Fachartikel immer die

00:20:48: Grenzen einer Studie benannt werden. Die Limitation wird verwiesen. Es wird auf Messungenauchkeiten,

00:20:53: Wahrscheinlichkeiten hingewiesen. Das heißt, so ein Originalartikel eignet sich extrem gut,

00:20:59: relativ knapp, Ungewissheitsaspekte rauszuarbeiten. Das heißt schon selbst gesagt, das ist jetzt eher

00:21:04: was für die höheren Stufen. Wie sieht es denn bei den höheren Klassenstufen aus? Was könnte ich

00:21:09: mit denen machen? Dazu haben wir uns auch was oder mussten wir uns ja auch was für die aktuelle

00:21:13: Ausgabe überlegen. Und wir haben da in der fünf für die fünfte und sechste Klasse am Beispiel

00:21:19: Nutztiere gearbeitet. Und an diesem Thema haben wir die Frage nach Ungewissheit aufgeworfen.

00:21:26: Zum Beispiel heißt es denn fast jeden Biologischuhelbuch, das Rind ist ein Nutztier. Und wir stellen

00:21:33: die Frage, ob das eine unumstößliche biologische Gewissheit ist oder ob wir die Einordnung von Rindern

00:21:41: als Nutztiere, von Schweinen als Nutztiere in Frage stellen können. Und last but not least, so was wie

00:21:49: Konsensungewissheit in der Wissenschaft oder auch Philosophische und Ungewissheit, die kann man eben

00:21:54: auch durch kleine knackige Methoden wie so eine Positionslinie, Standbilder oder die Vier-Ecken-Methode

00:22:01: des Schülerinnen und Schüler sich in vier Ecken positionieren, ziemlich schnell auch in einer

00:22:05: so einer Unterrichtsstunde realisieren. Und die philosophische Ungewissheit ist das dann genau

00:22:11: diese Aussage, das Rind ist ein Nutztier oder kein Nutztier. Genau. Das wäre ein weiteres Beispiel,

00:22:18: die philosophische Ungewissheit ist und liegt so ein bisschen außerhalb der Naturwissenschaften,

00:22:23: weil sie eigentlich Fragen, ethische Fragestellungen betrifft, die so ein bisschen rausgehen aus den

00:22:28: Naturwissenschaften selber, aus der Bibliologie selber. Das heißt Fragen, die wir nicht eindeutig

00:22:34: mit richtig oder falsch beantworten können. Und das wäre das Beispiel mit den Nutztieren.

00:22:39: Wir haben viele andere ethische Bereiche, zum Beispiel die Frage nach der Anwendung von

00:22:43: Gentechnik in der Landwirtschaft wäre auch so eine Frage, wo ich eigentlich mit Schülerinnen und

00:22:48: Schülern herausarbeiten kann, dass man je nach zugrunde liegender Wertsetzung diese Frage eben

00:22:55: auch sehr unterschiedlich beantworten kann. Und dass die philosophische Ungewissheit ist damit auch

00:23:00: eine Form von Ungewissheit, die eigentlich nicht weggeht und wo wir eigentlich erkennen können

00:23:04: auch mit Schülerinnen und Schülern, dass Menschen sich unterschiedlich entscheiden.

00:23:09: Wunderbar. Wir haben heute also gehört, Ungewissheit in Naturwissenschaften verstehen wir

00:23:18: als begrenztes Wissen über Vergangenes, Gegenwertiges oder Zukunftiges. Dadurch ist

00:23:23: Ungewissheit auch unheimlich wichtig, um die Forschung anzudreiben, denn Forschende wollen

00:23:28: natürlich Antworten auch auf die Fragen finden. Dass wissenschaftliche Erkenntnisse unvollständig

00:23:33: oder vorläufig sind, ist aber völlig normal und kein Zeichen, dass etwas schief lief.

00:23:38: Im Biounterricht können Schüler*innen dies erleben und begreifen lernen. Denn hier fördert die

00:23:44: Auseinandersetzung mit Ungewissheit das Verständnis für Wissenschaft und regt zu eigenständigem

00:23:51: Fragestellen und Forschen an. Das lässt sich, wie wir gehört haben, in zahlreichen Themenfeldern

00:23:56: in den Unterricht einbauen. Einige Beispiele haben wir jetzt schon auch in diesem Podcast gehört

00:24:01: und viele weitere gibt es in eurer neuen Ausgabe zu entdecken. Daher vielen Dank

00:24:05: für die Einblicke in dieses spannende Themenfeld. Bitte schön und viel Spaß beim Ausprobieren.

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