Krise als Chance?
Shownotes
Man mag sie kaum aufzählen, die ganzen „Krisen“, in denen wir uns gerade befinden: begonnen bei Umwelt, Kriegen, Inflation bis hin zur Gefährdung der Demokratie. Wie lässt sich damit im Unterricht umgehen? Wie können „Krise“ und „Katastrophe“ unterrichtet werden? Vor allem ist wohl entscheidend, negative Haltungen nicht noch zu verstärken, sondern zu vermitteln, dass sich gerade in Krisensituationen Dinge gestalten lassen. Dieser Podcast zeigt, dass nicht alles, was Krise genannt wird, auch eine Krise ist und wie man auch auf eine Multikrisenzeit auch positiv blicken kann.
Praxistipps:
- Krisen können Anlass und Auslöser für neue Entwicklungen sein. Altes ist nicht mehr tragfähig und wird durch Neues abgelöst. In Bezug auf Wissenserwerb und Lernprozesse sind solche individuellen „kleinen“ Krisen im Sinne von Ungewissheit produktiv.
- Krisen sind bearbeitbar, aber nicht zwangsläufig auch bewältigbar. Der Ausgang ist offen. Auch Unterrichtsstörungen sind hier ein Beispiel, weil Lösungen sich oft der Verfügbarkeit entziehen und so die Bearbeitung zu einer Daueraufgabe machen.
- Krisen als Thema im Unterricht erfordern vielfältige Perspektivierung und Thematisierung. Dies reicht von Dilemmageschichten, die das Denken in eine „Krise“ stürzen, bis hin zur Thematisierung von epochalen Schlüsselthemen wie der Klimakrise.
Mehr dazu erfährst du im Jahresheft 2024 in der Ausgabe "Krise" , erschienen im Friedrich Verlag.
Im Podcast hörst du die Bildungsexpertin Kati Ahl im Gespräch mit Beate Wischer (Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Profession und Organisation im Kontext von Inklusion und Mitherausgeberin dieses JahresheftesMitherausgeberin der Zeitschrift) und Thomas Häcker (Professor für Erziehungswissenschaft, Schulpädagogik und Bildungsforschung (ESB) an der Universität Rostock und Mitherausgeber der Zeitschrift).
Transkript anzeigen
00:00:00: Einfach unterrichten der Podcast von Friedrich Plus aus dem Friedrich Verlag. Wir bringen
00:00:10: innovativen Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt. Einfach unterrichten der Podcast heute
00:00:17: mit einem Hammerthema, nämlich Krise. Wie genau unterscheiden sich Krise und Katastrophe? Warum
00:00:26: sollte man mit dem Begriff Krise bedacht umgehen? Und warum der Lehrkräftemangel auch anders als
00:00:35: Krise genannt werden könnte? Darum geht es heute. Hören Sie rein. Mein Name ist Kathi Al und wir
00:00:42: starten jetzt. Einfach unterrichten heute zur Ausgabe des Jahresheftes Krise. Bei mir sind
00:00:52: Professor Beate Wischer und Professor Thomas Hecker. Also zwei echte Kurifän und ich muss ehrlich
00:01:00: sagen, ich bin ein bisschen aufgeregt heute bei dieser Aufnahme, denn wir haben ja ein heftiges
00:01:04: Thema heute vor uns. Einer der letzten Podcasts war zum Thema Konflikte. Da war ich nicht so
00:01:12: aufgeregt, weil Konflikte immer was kurzes sind oder häufig was kurzes sind und Krisen ja auch
00:01:18: ein bisschen länger sein können. Also seien Sie gespannt. Beate Wischer, langjährige Autorin und
00:01:23: Mitterausgeberin im Friedrich Verlag. Professorin war sie an der Uni Bielefeld für Erziehungswissenschaften
00:01:30: mit dem Schwerpunkt Inklusion und laut ihres Mitterausgebers ist sie immer für eine Überraschung
00:01:36: gut, also ein Überraschungsbombom. Herzlich willkommen Beate Wischer. Vielen Dank. Und dabei
00:01:44: wir sind heute zu dritt. Professor Thomas Hecker für Erziehungswissenschaften an der Uni Rostock
00:01:49: und Mitglied der Jury des deutschen Schulpreises. Und wenn man ihn recherchiert, findet man ihn
00:01:55: sogar in der ARD Mediathek. Er war nämlich am 12.12.23 beim NDR zum Interview. Laut Beate
00:02:04: Wischer mit der Ausgeberin ist er eine echte Wundertüte, denn er ist ein scharfe Analytiker
00:02:10: und gleichzeitig reformpädagogisch war selbst Hauptschullehrer. Also habe ich hier ein Überraschungsbombom,
00:02:17: eine Wundertüte. Los geht's. Jetzt haben wir das Thema Krise. Ich muss ja sagen, das Thema
00:02:24: Krise macht mir ein bisschen Bauchschmerzen. Wie ging es Ihnen, Frau Wischer, dazu ein ganzes Heft
00:02:30: herauszugeben? Ich kann das nur unterstreichen, dass der Begriff Bauchschmerzen macht und kann
00:02:40: sogar sagen, dass auch die Herausgeberschaft herausfordernd war. Ich habe ja das große Privileg
00:02:47: als Herausgeberin, als feste Herausgeberin, dass ich nicht immer absolut die Expertise in dem Thema
00:02:54: haben muss, aber bei so einer Heftkonzeption dabei sein darf. Und was ich nämlich dann jetzt auch
00:03:00: gelernt habe, das hat sich letztendlich bestätigt, so würde ich das einordnen. Wir haben unfassbar viele
00:03:07: Beiträge in diesem Heft, bei denen einem auf der einen Seite schwindelig werden kann, weil dieses
00:03:14: Phänomen Krise, wir reden alle über Krise. Das ist ja ein ganz gängiger Begriff und mein
00:03:20: Alltagsannäherung an das Thema war schon, oh nein, nicht jetzt auch noch wieder Krise. Wir haben
00:03:27: schon so ausufernde Krisenrhetoriken. Und da finde ich, habe ich ganz viel gelernt in diesem Heft
00:03:33: zu verstehen, ja, dass der Begriff hält viele Zumutungen bereit, weil er sich in unglaublich
00:03:41: viele unterschiedliche Lesarten auch verwandeln kann. Also sowohl positiv als auch negativ die Frage,
00:03:48: was man überhaupt als Krise versteht, vor welchem Erwartungshorizont man das tut und vielleicht
00:03:56: als ganz persönliche Anmerkung. Jetzt auch in Bezug auf diesen Podcast habe ich gedacht,
00:04:01: ach du liebe Güte, ja, ich habe mich intensiv mit diesem Heft beschäftigt. Aber da steckt so viel
00:04:08: drin auch an Differenzierungen, dass ich auch aufgericht war und dachte, wie wollen wir jetzt
00:04:15: hier kompetent über so ein schwieriges Thema sprechen. Da wir hier zu dritt sind, zu drittexpertise
00:04:23: mitbringen, versuchen wir mal nicht in die Krisenrhetorik zu verfallen. Ecker, wie sprechen wir
00:04:29: über Krise, ohne uns in diese Abwärtsspirale zu begeben und jetzt ganz schlechte Laune zu bekommen?
00:04:36: Mir ging es da so ein bisschen ähnlich wie eine Arte. Das ist natürlich im Moment so ein
00:04:44: bisschen eine doppelte Schwierigkeit, die nämlich darin besteht, dass wir einerseits ja in einer Zeit
00:04:49: leben, die uns als Multikrisenzeit vorkommt. Also wir haben im Moment das Gefühl, dass wir das eine
00:04:57: Krise, die andere jagt, dass wir multiple Krisen haben, die sich einander ablösen. Und da spielt
00:05:04: beispielsweise so eine Krise wie der Lehrkräftemange, der spielt da zwar eine Rolle, aber man hat
00:05:12: das Gefühl, es kommt irgendwie von allen Seiten und es addiert sich auf. Um nicht in eine Abwärtsspirale
00:05:18: zu kommen, haben wir uns im Heft gesagt, wir wollen schauen, den Krisenbegriff genauer anschauen, weil
00:05:23: der ja durchaus changiert. Und der Krisenbegriff, der verweist ja auf so eine Denkfigur, bei denen man
00:05:30: einen Punkt erreicht hat, von dem man nicht so ganz genau weiß, wie es weitergeht. Das kann sich
00:05:35: zu einer Katastrophe auswachsen, kann aber auch eine positive Entwicklung anstoßen. Und wir haben im
00:05:40: Herausgeber*innenkreis von Anfang an gesagt, wir wollen nicht diese rein negative Konnotation,
00:05:45: sondern wir wollen die Balance halten und eben, das klingt vielleicht ein bisschen abgeschmackt,
00:05:50: aber wir wollen so ein bisschen die Krise als Chance und die Krise als Möglichkeit nicht
00:05:54: zu kurz kommen lassen, um auch zu zeigen, dass eben eine Krise fast schon eine positive
00:06:00: Entwicklungsvoraussetzung auch da ist. Ja, da haben wir uns ganz klein schrieben.
00:06:04: Max Frisch hat ja gesagt, Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ja nur den Beigeschmack der
00:06:09: Katastrophe nehmen. Ich frage mich, brauchen wir die Krise, um was Neues zu lernen, ist nicht
00:06:16: der neue Lernbegriff, dass man mit Freude, mit Motivation und aus immer neunter Neugier lernt,
00:06:23: warum brauchen wir dafür eine Krise? Wir haben in dem Hess, ja beispielsweise sogar ein ganzes
00:06:28: Kapitel, wo wir Krise als ein notwendiges Strukturmoment in Lernprozessen oder Bildungsprozessen
00:06:36: beschreiben. Also nur dann, wenn ich irgendwo nicht weiterkomme, wenn eine bestimmte Routine,
00:06:41: eine Sicherheit, wie auch immer man das bezeichnen will, irritiert wird, nicht weiterkommt, infrage
00:06:49: gestellt wird, fange ich an, mich umstellen zu müssen und das könnte man als Bildungsprozess
00:06:57: bezeichnen und da würde ich an der Stelle sogar noch mal einen Ordnen sagen, wir sind ein Stück
00:07:03: als Pädagogin, die wir sind, sind wir da sogar losgelaufen, weil wir in unserem Geschäft diese
00:07:09: Idee kennen, dass man sagt, Krise ist fast ein notwendiges Momentum überhaupt, Bildungsprozesse
00:07:17: zu beschreiben. Jede Lehrerin versucht nach dieser Lesart im Unterricht bei den Schülerinnen
00:07:22: eigentlich kleinere Krisen auszulösen, damit die sich auf was Neues einlassen. Die Frage ist
00:07:30: dann eher sozusagen, um welche Art Krise handelt es sich und mit welchen Momenten ist sie verbunden
00:07:38: und wir haben genau versucht zu zeigen, dass das ist ein ganz entscheidender Punkt, zu unterscheiden
00:07:44: von den ganzen Krisenrhetoriken, die wir jetzt gesellschaftlich auch haben, die eher so ein
00:07:49: Gefühl von Nichtverfügbarkeit mehr erzeugen, wo man das Gefühl hat, da ist man gar nicht mehr
00:07:53: handlungsmächtig, das überrollt allen so. Ja, positive Irritation und Lust auf Neues als Teil
00:08:02: der Krise, das nehmen wir gerne gleich noch auf. Vorher will ich noch mal auf eine deftige Krise
00:08:09: eingehen, nämlich die Bildungskrise. Da kommen wir jetzt nicht drum herum, dass wir da einmal
00:08:14: dieses Töpfchen aufmachen, den Deckel aufmachen. Mir würde anerst das Städte der Lehrkräftemangel
00:08:21: einfallen, auf den sie ja in der Ausgabe auch eingehen. Herr Hecker, wollen Sie kurz darauf
00:08:27: eingehen, vielleicht mit dem Ausblick, wie können wir denn die Attraktivität des Lehrberufs
00:08:34: wieder steigern? Ich würde da gerne an dem was Bert Wischel gerade gesagt hat nochmal anschließen
00:08:40: und möchte grundsätzlich sagen, man könnte den Menschen sogar begreifen als ein konstitutiv
00:08:45: krisenbewältigendes Wesen. Also vielleicht ist das das, was uns als Menschen auch ausmacht und es ist
00:08:51: tatsächlich so, dass überall dort, wo unsere Routinen an Grenzen kommen, Raum aufgeht und wir
00:08:57: uns entscheiden müssen, wie wir etwas neu machen. Also es gibt diesen unglaublich positiven Aspekt,
00:09:02: dass man sagen könnte, die Krise ist der Ort, wo das Neue entstehen kann. Aber und jetzt kommt
00:09:08: das Wichtiges zu meinen, man muss sehr, sehr, sehr deutlich Krisen unterscheiden. Also die Frage ist,
00:09:13: ob wir bestimmte Entwicklungen, die dann eine krisenhafte Form annehmen, ob die nicht wirklich
00:09:18: notwendige Weise vermieden werden möchten. Also wir könnten über Klimawandel sprechen. Die Frage
00:09:23: ist, wird es nicht perfide, wenn wir sagen, naja, wir mussten die Krise mal inszenieren,
00:09:28: damit uns was Neues einfällt, was Ökonomie und Ökologie angeht. Das fände ich jetzt fast
00:09:33: schon zynisch. Und da kann ich ein Schlenker zum Lehrkräftemangel machen. Also der Lehrkräftemangel
00:09:39: ist ein schwieriges Thema. Wir haben das im Heft auch aufgegriffen. Da gibt es auch einen schönen
00:09:43: Beitrag von Klaus Klemm dazu. Wir wissen einfach schon seit Jahrzehnten, dass es immer was,
00:09:51: was die Lehrkräfteversorgung angeht, immer den Wechsel gibt zwischen Überfüllung und Mangel.
00:09:56: Also man hat früher mal diesen Begriff des Schweinezykluses benutzt. Also das kommt ja überhaupt
00:10:01: nicht prinzipiell überraschend. Aber wir müssen sagen, dass in den letzten zehn Jahren viele
00:10:08: Faktoren gab, die völlig absehbar waren und wo es ein merkwürdig berührt, wenn jetzt plötzlich
00:10:14: von Krise gesprochen wird, weil da hat man den Eindruck, dass der Krisenbegriff rhetorisch
00:10:18: funktional benutzt wird. Also wenn man sehenden Auges sozusagen zehn Jahre, zwölf, fünfzehn Jahre
00:10:25: zuschaut, wie durch demografischen Wandel, durch Überalterung von großen Lehrerinnenkohorten
00:10:30: völlig absehbar ist und dann eben auch steigenden Zahlen von Geburten. Absehbar ist, dass wir einen
00:10:37: großen Mangel haben werden. Da hat man nicht zu reagieren angemessen. Finde ich schwierig. Ich
00:10:41: habe auch schon mal etwas flapsig gesagt. Wir investieren den Kindern immer fehlende mathematische
00:10:47: Kompetenzen, das scheint ein größeres Problem zu sein. Das betrifft auch manche Bildungsverwaltung,
00:10:51: die nicht in der Lage ist, offensichtlich Prognosen zu machen, wobei das ein schwieriges Geschäft ist
00:10:56: zugegebenermaßen. Das ist schwierig und es lassen sich letztlich eben nicht alle Parameter so
00:11:01: modellhaft abbilden, modellieren, dass wir wirklich verlässlich das sagen können. Aber die Krise,
00:11:08: die wir im Moment haben, die ist bildungspolitisch mit verursacht und in diesen versehenden Auges
00:11:13: geraten und da würde ich dann sagen, das ist ein bisschen unnötig. Sie haben gefragt, was die
00:11:17: Attraktivität steigern könnte. Das ist tatsächlich schwierig, aber natürlich kennen wir Faktoren.
00:11:24: Also Lehrerinnen und Lehrer müssen insbesondere im deutschen Sprachraum haben die so vielfältige
00:11:29: Aufgaben, dass man sich schon mal die Frage stellen muss, ob wir nicht dafür sorgen müssen,
00:11:33: dass Lehrerinnen und Lehrer sich vielmehr auf ihr Kerngeschäft beschränken können. Und dass es
00:11:37: viele Aufgaben in einer Schule gibt, die an Expert*innen ausgesorzt werden könnten. Wir hätten
00:11:43: eine Sekretärin oder ein Sekretär, der die ganzen organisatorischen Kram erledigt. Wir hätten
00:11:49: Systemadministrator oder Administratorin, die alle Geräte installiert. Dann wäre das schon mal
00:11:57: weg. Dann ist ja trotzdem vielleicht per se krisenhafter Beruf. Also man hat ja Unterrichtskrisen,
00:12:03: man hat Krisen bei den Lernenden. Was können wir noch tun? Na ja, grundsätzlich haben Sie
00:12:09: natürlich recht. Und das ist eben auch eine Erfahrung aus diesem Heft, dass wir auf fast
00:12:14: allen Ebenen sozusagen mit dem Begriff Krise operieren könnten. Also der Lehrerinnen-Beruf wäre
00:12:20: jetzt, wenn man ihn für sich nimmt, ein krisenhafter Beruf. Wir wissen aus unterschiedlichen Studien,
00:12:25: dass beispielsweise Lehramtsstudierende, Referendar*innen, Berufseinsteigende und Lehrer*innen
00:12:30: im Beruf ganz eigene, sagen wir mal, Krisen zu bewältigen haben oder eben vor ganz eigenen
00:12:36: Herausforderungen stehen. Wir wissen aber auch, dass das Klientel mit dem Lehrerinnen und Lehrer
00:12:40: zu tun haben, sozusagen Krisen durchlaufen, die man fast chronologisch abbilden kann, wenn man die
00:12:46: Entwicklungskrisen anschaut. Da gibt es also ganz vieles, was in der Schule sozusagen abläuft und
00:12:54: die Schulen eine hohe Expertise im Umgang mit solchen Krisen der Kinder und Jugendlichen in
00:12:58: ihrem Entwicklungsverlauf haben. Und dann ist die Schule eben zusätzlich noch mal betroffen von
00:13:02: allen anderen Krisen. Also wenn wir eine Flüchtlingssituation haben, da laufen die Schulen
00:13:07: voll, das wird unmittelbar spürbar. Die Digitalisierungsproblematik wird unmittelbar spürbar.
00:13:12: Also alles, was sozusagen die Klimakrise wird unmittelbar spürbar. All das macht sozusagen
00:13:19: einen riesen Rahmen, in dem man gar nicht weiß, wo man eigentlich diesen Krisenbegriff überhaupt
00:13:24: thematisieren soll. Diese Vielfalt haben wir versucht, im Heft einigermaßen abzubilden.
00:13:28: Also Schule als krisenhafter Melting-Port, gesellschaftliche Krisen, Entwicklungskrisen und
00:13:36: vielleicht auch noch Berufskrisen, Frau Wischer. Ja, ich habe jetzt gerade musste ich ein bisschen
00:13:41: schmunzeln, weil ich den Armruck hatte. Ihr wollt die Attraktivität des Lehrer*innenberufs deutlich
00:13:46: machen und beschreibt jetzt gerade doch wieder die vielen buchtigen Krisen. Und mir fällt dazu,
00:13:51: das ganz tolle Interview ein, was wir auch im Heft haben oder zwei Texte fallen mir ein. Das
00:13:58: eine ist das Interview, Thomas, was du mit Hartmut Rosa geführt hast, der ja auch sehr pessimistisch
00:14:04: in vielen klingt. Ja, eben auch beschreibt, wie viel Spaß vieles daran macht. Also wenn wir jetzt
00:14:12: von Krise, wir haben vorhin davon gesprochen, Krise ist ein konstitutives Moment im Bildungsprozess.
00:14:17: Hartmut Rosa würde das mit Resonanz beschreiben und wie toll ist das, daran teilzuhaben. Ja,
00:14:23: und vielleicht auch eine Selbstwirksamkeit zu erleben als Problemlöserin. Also das ist ja eben,
00:14:29: ist ja das, also was für mich damals auch den Lehrer*innenberuf sehr, sehr ausgemacht hat. Also
00:14:35: Texte schreiben, ich kann sehr klug über alle sprechen. Das hat mir nie die Befriedigung gegeben,
00:14:41: die es mir gegeben hat, wenn ich dann vor Ort sozusagen in dem Ganzen auch verstrickt bin. Und
00:14:47: ein anderes, anderer Text, der mir einfällt, ist ein ganz großartiges Interview, was Franziska
00:14:54: Kahl geführt hat mit einem Schulleiter, der von der Flutkatastrophe im A-Teil betroffen war. Da war
00:15:01: es natürlich auch nochmal ganz spannend, dass er eben den Unterschied macht zwischen Krisenkatastrophe.
00:15:05: Und wenn man darüber spricht, was haben wir so an Krisen, da sieht man, das war eine Katastrophe.
00:15:11: Und ich würde trotzdem sagen, und das fand ich hochbeandrocken bei diesem Interview, das war
00:15:17: wirklich fast ein Worst Case, der da passiert ist. Und trotzdem geht aus diesem Interview so viel
00:15:25: Kraft hervor und zeigt auch bei allem, was dazu machen war, das macht auch was mit einem im
00:15:32: positiven, das erleben und gestalten zu können, ohne irgendwas schön zu reden. Aber das wäre jetzt
00:15:38: nochmal so ein bisschen mein Einwand zu sagen, es macht ja, es fixt ein ja auch an, es macht
00:15:45: was mit einem in dieser ganzen Sache zu sein und da eben auch das Produktive zu erleben.
00:15:51: Kann ich mich anschließen? Nach meiner Erfahrung gibt es kaum etwas, was mehr Stärke und
00:15:58: Selbstwirksamkeit erzeugt als eine bewältigte Krise. Apropos Krisenbewältigung, dazu gab es ja von
00:16:06: der ständigen Wissenschaftlichen Kommission eine Empfehlung, was zu tun sei gegen den
00:16:11: Lehrkräftemangel. Man rutscht ja doch schnell ins Zynische. Also das würde ja auch sehr verrissen,
00:16:17: so nach dem Motto ein bisschen mehr Yoga und ein bisschen mehr, weiß ich nicht, Fallberatung
00:16:21: und schon ist das alles kein Problem mehr. Wie, Herr Hecker, gehen denn Schulpreisschulen mit Krisen
00:16:29: um erleben, wie dieses Momentum gemeinsam haben wir was bewältigt öfter? Gibt es da mehr Resilienz?
00:16:37: Ich würde sagen auf eine Art Ja und man muss vorsichtig sein. Also ich würde gerne so diese
00:16:46: Doppelbrotschaft an der Stelle aussehen. Also wir haben, wenn wir mit Schulpreisschulen sprechen,
00:16:52: oder mit Preisträgerschulen sprechen, so die Erfahrung gemacht, dass die häufig dadurch,
00:16:59: dass sie eben im vielerlei Hinsicht, angefangen von der Unterrichtsgestaltung, Unterrichtsführung,
00:17:05: von der gesamten Organisation, vom Personaleinsatz, der da häufig gemacht wird, dass die, sagen
00:17:11: wir mal, wenn wir jetzt den Begriff der Resilienzdienste ins Spiel gebracht haben, nehmen würde, dass die
00:17:16: prinzipiell, sagen wir mal, ein höheres Level an Resilienz zum Teil aufweisen. Also manche Dinge
00:17:21: kommen nicht im selben Moment wie an anderen Schulen. Manche, also wenn man
00:17:26: beispielsweise Personalmange dadurch wegkompensieren kann, das man mit sehr
00:17:32: offenen Formen arbeitet, bei denen beispielsweise die Übernahme einer
00:17:36: offenen, arbeitenden Gruppe durch zwei Personen, wo vorher drei waren oder vier,
00:17:41: fällt manchmal nicht so schwer im ersten Moment, als wenn, wenn jetzt
00:17:45: beispielsweise ein Unterricht so geführt wird, dass eine Person sich sehr
00:17:49: zentral stellt, die da mit vollem Dekutat wegfällt und dann eine
00:17:53: Inszenierung kompensiert werden muss, für die man eigentlich im Grunde eine
00:17:58: Ersatzperson bräuchte, um das vernünftig zu machen. Also ja, da gibt es mehr
00:18:03: Resilienz, aber und das ist mir auch wichtig, bei den Schulpreisträgerschulen
00:18:07: schlagen dann diese Personalmangegeschichten dann doch auch in
00:18:14: zweiten Schritt auch sehr stark zu Buch her, also die sind eben auch betroffen.
00:18:18: Das ist mir wichtig, dass Preisträgerschule zu sein, sozusagen nicht
00:18:23: das geheimen Rezept wäre, jetzt Strukturmängel, die unser System aufweist,
00:18:27: irgendwie zu wegzukommen. Das sind ganz normale Schulzeichen, meine Anführungsstriche,
00:18:32: was die Lehrerinnenversorgung angeht und deshalb schlägt bei denen der
00:18:35: Lehrkräftemangel absolut zu Buche. Ja, jetzt sind wir alle drei früher
00:18:41: Lehrkräfte gewesen und kennen das, dass man als Lehrkraft Krisenmomente erlebt.
00:18:46: Das kann im Unterricht passieren, das kann in der beruflichen Biografie
00:18:50: geschehen, welche Chancen, welche Ressourcen sehen Sie in einer guten
00:18:56: Kooperation von Lehrkraft zu Lehrkraft und im Collegium. Steckt da vielleicht noch
00:19:03: Potenzial, Frau Wischer? Ja, da steckt Potenzial, wir wissen aber auch, also ich
00:19:10: habe mich viel mit Schulentwicklung und dem Programm auch für
00:19:13: Schulentwicklung beschäftigt, da geht es ja gar nicht ohne Kooperation, das ist
00:19:17: ja auch so ein bisschen so ein Halsversprechen und wir wissen auch,
00:19:22: auch das wird in einem Heft in einem Beitrag, finde ich noch mal ganz gut
00:19:26: herausgearbeitet, dass Kooperation natürlich, gerade wenn sie eine
00:19:30: Verordnete ist und also da gibt es glaube ich viele Versprechen sozusagen, die
00:19:36: mit der Realität dann oft nicht übereinstimmen, weil Kooperation auch
00:19:39: belastend sein kann, es vor allen Dingen nicht die Räume gibt, in denen die
00:19:44: Kooperation stattfindet, also da haben wir so ein Stück das Dilemma, nicht würde
00:19:48: er an sowas denken, auch dazu haben wir in dem Heft ein paar Beiträge gemacht, wo es
00:19:54: wirklich er drum geht, immer mal wieder in Distanz treten zu können und sich
00:19:58: austauschen zu können, also kollegiale Feierberatung oder so. Die Krux bei dem
00:20:03: Ganzen liegt darin, deswegen bin ich da immer so vorsichtig, weil eine Krise auch
00:20:08: sein kann, dass wir Schulen ständig mit neuen Aufgaben überfordern. Wir haben es
00:20:13: ja vorhin angesprochen, was Lehrkräfte alles müssen und da würde ich jetzt auf
00:20:18: keinen Fall sagen, so Leute da, jetzt muss man auch in der Schule, müssen die
00:20:22: alle auch noch kollegiale Feierberatung machen, das wäre ja noch mal wieder ein
00:20:25: Add-on. Mein Eindruck wäre, ich habe mich ein bisschen mit
00:20:29: Organisationsentwicklung beschäftigt, auch dies erst eine Zumutung kann, aber wenn
00:20:34: sie klug gemacht ist, einen Rahmen schaffen, in dem auch Ressourcenklüger
00:20:38: verteilt sind, so dass es Spielräume für sowas gibt, also wenn Lehrkräfte
00:20:42: kooperieren sollen, brauchen die auch Zeitfenster dafür, in denen das
00:20:47: vorgesehen ist, nicht zwischen Tür und Angeln und meine Idee dazu wäre tatsächlich,
00:20:52: wir reden immer von Reflexion als ein Kernelement und auch in dem Heft sieht
00:20:57: man über Krise, kann man auch so viel reflektieren, also wie nehme ich das
00:21:01: wahr, was empfinde ich als Krise, was nicht und so und da würde ich stark auf
00:21:05: Reflexion setzen, vielleicht weniger auf Kooperation, so im technischen Sinne, nur
00:21:11: wie gesagt dafür muss die Muße da sein und die ist vielleicht in den Großkrisen
00:21:17: Zeiten und beim Lehrkräftemangel haben wir alles aber nicht die Ressource
00:21:21: zahlt. Ja, also Reflexion als eine Option aus der Krise auszusteigen, Herr
00:21:32: Hecker, uns hört eine Lehrkraft zu, die sich in einer Krise befindet, ganz
00:21:36: konkrete Empfehlung? Nachdem wir das Heft gemacht haben, würde ich erst mal
00:21:42: fragen, worin die Krise genau besteht. Also ein Resümee, wenn Sie mich fragen
00:21:47: ist, ich bin am Ende dazu gekommen, dass ich sage, wenn die Kategorie Krise eine
00:21:53: sage mal taugliche Kategorie mit analytischer Kraft bleiben soll, dann
00:21:57: müssen wir sie sehr sparsam, sehr gut begründet und sehr reflektiert benutzen,
00:22:02: weil diese inflationäre Verwendung des Begriffs dazu führt, dass auch Dinge,
00:22:08: die wir sonst Herausforderungen, die wir sonst im hohen Anspruch oder ein
00:22:13: Spannungsfeld nennen würden, heute alles total rhetorisch in eine Krise
00:22:17: umgemünzt wird und das ist gar nicht hilfreich. Okay, also tatsächlich hätte
00:22:23: ja Max Frisch dann recht, dass man von der Katastrophenrhetorik etwas abrückt
00:22:27: und die Krise vielleicht mal auf einer Skala von 1 bis 10, 10 Weltenuntergang,
00:22:33: 0, ich kann ruhig schlafen, einordnet. Ja und ich finde, man müsste auch
00:22:41: tatsächlich schauen, ob das, was wir mit Krise bezeichnen, in irgendeiner Weise
00:22:45: lebensbedrohlich existent ist, also welche Fallhöhe, welche Reichweite,
00:22:51: welchen Radius das hat, worüber gesprochen, das muss man schon einhegen, um die
00:22:56: Gravität dann wahrzunehmen. So stehen Sie, wenn alles und jedes Krise ist,
00:23:01: dann nimmt es eigentlich den Begriff der Klimakrise, seine Schärfe, also wenn wir
00:23:07: wirklich, sagen wir mal, veritable Krisen haben, die eine große
00:23:11: Aufmerksamkeit brauchen, dann nehmen wir denen die Aufmerksamkeit dadurch, dass
00:23:16: wir alles und jedes Krise betiteln. Ist das eine Bildungskrise oder ist es keine?
00:23:20: Diese Frage habe ich mir vorher auch gestellt und ich bin unsicher, wie es
00:23:25: bezeichnen würde. Also ich bin, ich würde noch ergänzen, zudem was Thomas Hecker
00:23:29: gesagt hat, das habe ich vor allen Dingen auch wieder durch das Rosa-Interview
00:23:32: gelernt. Das ist ja auch eine Frage, vor welchem Erwartungshorizont ich den
00:23:36: gebeurteile und hat mit Rosa beschreibt ja ganz gut, wenn wir glauben, dass alles
00:23:42: planbar kontrollierbar machbar ist, dann ist jede kleine Abweichung, kann schon
00:23:47: zu einer Krise werden. Wir haben das in einem Heft auch beim Beispiel
00:23:51: Unterrichtsstörung, wo ich auch, wenn ich damit rechne, dass ich alles im
00:23:56: Griff habe, dann kann jede Form von Störung sozusagen zu einer Krise werden.
00:24:01: Ich bin bei der Bildungskrise und ich vielleicht sind jetzt alle Lehrkräfte,
00:24:05: die das hören, schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, aber nach meiner
00:24:09: Wahrnehmung, ich habe mich viel mit Reformthemen beschäftigt und leider
00:24:14: muss ich sagen, eine pädagogisch erbeliebte Figur, das alte gegen das
00:24:18: neue auszuspielen und den Hebel anzusetzen, indem ich immer in der
00:24:23: Gegenwart dramatisieren feststelle, wie furchtbar sie ist. Also wenn man sich
00:24:28: viele pädagogische Texte anguckt, schuldpädagogische Texte, hat man den
00:24:33: Eindruck, dass heutzutage kein Schüler mehr irgendwas lernen kann, dass es eine
00:24:37: absolute Katastrophe ist. Also wenn man jetzt mal bei der Didaktik schaut, ich
00:24:41: spitze das etwas zu und das ist oft auch eine Rhetorik sozusagen, um
00:24:47: Reformen anzuregen, die immer gleichzeitig dann als das positiv herausgestellt
00:24:52: werden und das Neues, das Verheißungsvolumen, wenn wir uns endlich auf
00:24:56: dem Weg machen, ist alles gut. Bei der Bildungskrise wäre ich eben sehr
00:25:01: vorsichtig, weil wir, wenn ich mit zumindest so den Fachdiskurs zu raten,
00:25:06: hier möglicherweise auch den gesellschaftlichen Diskursschule oder das
00:25:10: Bildungssystem schon immer in einer Krise gesteckt hat. Ich kann mich gar nicht
00:25:14: erinnern, dass mal geschrieben worden wäre, jetzt haben wir was wunderbar
00:25:17: gelöst, sondern es ist eigentlich immer krisenhaft, immer unzureichend, immer
00:25:22: defizitär. Herr Hecker, Bildungskrise? Ich habe mich ja in einem Beitrag mit
00:25:28: der Metaphorik und mit den Funktionen des Krisenbegriffs auseinandergesetzt und ich
00:25:33: mache so eine Beobachtung, man kann diesen Begriff zum Verantwortungsmanagement
00:25:38: und zum verschaffen von, sagen wir mal, Freiräumen nutzen. Wenn ich eine Krise
00:25:44: deklariere, dann habe ich immer das gute Recht mir sozusagen so eine Art
00:25:48: Ausnahme oder Notstandsgesetzgebung zu geben, also in der Krise scheint irgendwie
00:25:53: jedes Mittel recht zu sein. Also wenn, ich habe vorhin schon mal angedeutet, dass
00:25:58: diese, der Lehrkräftemangel sehenden Auges passiert ist, der kam ja nicht
00:26:03: irgendwie aus dem Off, wenn wir aber sagen, da ist eine Krise entstanden, dann wird
00:26:06: suggeriert, das käme so aus dem Off, das ist eigentlich das als ein Aspekt des
00:26:10: Verantwortungsmanagements, nämlich im Sinne von Verantwortung von sich zu
00:26:13: weisen, benutzt wird. Und das andere ist, wenn ich jetzt von Bildungskrise
00:26:18: spreche oder von Lehrkräftekrise spreche, dann scheint es irgendwie alle Maßnahmen
00:26:22: zu legitimieren. Um es mal Flapsig zu sagen, was wir in den Bundesländern gerade
00:26:26: beobachten können, ist ein unglaublicher, unbeschreiblicher Qualitätslimbo, was die
00:26:32: Standards der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern angeht. Dass wir ein
00:26:35: Lehrkräftemangel haben ist überhaupt keine Frage, aber dass wir jetzt sozusagen,
00:26:40: ich habe das Gefühl, dass jetzt im Moment Quantitäten gegen Qualitäten in
00:26:44: einer Weise ausgespielt werden, wo am Ende die Frage sein wird, wie wir das
00:26:48: wieder einfangen. Also wenn wir jetzt in ganz großen Kohorten Menschen ohne eine
00:26:53: akademische Lehrerinnenbildung in die Schule lassen und auch nicht von ihnen
00:26:57: verlangen, dass sie die Abschlüsse nachholen, dann wird man in ein paar
00:27:00: Jahren gar nicht mehr fordern können, dass Lehrerinnen und Lehrer akademische
00:27:03: Abschlüsse machen. Ich möchte vorwarnen, diesen Krisenbegriff zu benutzen, um jetzt
00:27:08: Qualitätsansprüche fallen zu lassen, die wir unter normalen Bedingungen nie
00:27:12: hätten fallen lassen und was nur dem Begriff der Benutzung des Krisenbegriffs
00:27:17: in dieser Situation ein Stück weit geschuldet wird oder der Funktional für
00:27:21: sowas benutzt wird. Übrigens habe ich mir letztens ein Vortrag von Pasi
00:27:26: Saalberg aus Finnland angeschaut, Bildungsexperte, der sagt, in Finnland
00:27:31: würde niemals jemand unqualifiziert das in die Schulen kommen. Das ist für die
00:27:35: eine wie so eine heilige Kuh. Also da ist Ausbildung zählt ganz stark. Ich würde
00:27:40: also vermuten, Herr Hecker, Sie würden das eher eine Ausbildungskrise nennen.
00:27:45: Machen wir jetzt den Bogen mal rund. Ich würde gerne wissen, wir sind damit
00:27:50: gestartet, wie das für Sie persönlich war, dieses Heft heraus zu geben. Welcher
00:27:55: Beitrag hat Sie besonders berührt und warum? Habt ihr glaube ich schon gesagt.
00:28:00: Ganz berührend ist das Interview mit dem Schulleiter, der Krisen beschreibt,
00:28:07: aber es an einer Katastrophe festmacht und dann gibt es noch zwei Texte, die, ich
00:28:13: weiß nicht, ob berühren das richtig ist, die mir unglaublich weiter geholfen haben,
00:28:17: auch wenn sie auf den ersten Blick und das Tast vielleicht genau zu dem ganzen
00:28:21: Thema durchaus auch nur Zumutung sind, weil sie das sehr differenziert machen.
00:28:24: Das ist das Interview mit Hartmut Rosa, was ganz viel noch mal auf der Ebene macht,
00:28:31: wie ich die Dinge sehe und da eine Menge finde ich für mich noch mal auch zu
00:28:35: einen Ordnung gebracht hat. Und ein Wunderbarer ist selbst Herrn Leineweber
00:28:39: zur Digitalisierung, der auch das Thema vielleicht leider viel komplizierter
00:28:47: macht, als man auf den ersten Blick denkt, wenn man bei Digitalisierung immer nur
00:28:51: an die technologische Kompetenz und Verfügbarkeit denkt und der ganz viele
00:28:56: Denkanstöße gibt noch mal, weil er deutlich macht, dass es tatsächlich um eine
00:29:01: digitale Kultur geht, die ganz viel verändert, die Gesellschaft ist ganz
00:29:06: viel verändert und auch ja bei Schule und da vielleicht aber auch Ansatzpunkte
00:29:11: liefert. Herr Hecker, Sie sind mir vorgestellt worden, als die Wundertüte
00:29:16: aus dem scharfen Alytiker und gleichzeitig reformpädagogisch gebildet.
00:29:22: Was haben Sie persönlich bei dieser Herausgabe, dieser Ausgabe gelernt?
00:29:28: Ich habe in erster Linie gelernt und da beziehe ich mich jetzt erst mal auch auf
00:29:33: dieses Interview mit Hartmut Rosa, dass die moderne eigentlich mit dem
00:29:37: Lebensgefühl verbunden ist, dass wir immer in einer Krise leben.
00:29:40: Das scheint das Bewusstsein des modernen Menschen generell auszumachen.
00:29:45: Und trotzdem leben wir in einer Zeit, in der existenzielle Krise tatsächlich
00:29:51: zunehmen und wir fangen von Pandemie über Krieg bis hin zur Klimakrise,
00:29:57: leben wir in einer Zeit, die wirklich von veritatlen Krisen geprägt ist, die wir
00:30:02: ernst nehmen müssen. Was ich aber mutmachend finde, ist, dass wir ja als
00:30:07: auch resonanzfähig gewesen, um mal diesen resonanz theoretischen Begriff
00:30:11: aufzunehmen, dass wir immer in der Lage sind, uns ansprechen zu lassen und auch
00:30:15: antworten zu können, wie Hartmut Rosa das sagen würde.
00:30:17: Und das Zweige, das mir eben sehr gut gefällt im Supplement, sehe ich einfach
00:30:21: aus diesen Berichten von Schulen, die mal schildern, wie sie versuchen, mit dieser
00:30:26: Krise in irgendeiner Weise, ich spreche jetzt von dem Lehrkräftemangel,
00:30:30: insbesondere umzugehen, wie die versuchen eben, in Resonanz zu gehen und zu
00:30:34: schauen, welche Möglichkeiten bieten sich denn uns die Schule zu einem
00:30:38: attraktiven Ort zu machen oder besser gesagt das, was die Schule ja ohnehin
00:30:42: zu einem attraktiven Ort macht, nämlich mit der nachwachsenden Generation zu
00:30:46: arbeiten, sie mit Krisenlösungen in Verbindung zu bringen, die die Menschheit
00:30:50: ja schon entwickelt hat und sie mit dem Zutrauen auszustatten, dass wir auch die
00:30:55: künstlichen Krisen bewältigen können, also das alles im Verbund macht mir
00:30:58: Hoffnung und ja ich habe gelernt, dass wir auch antworten können und ich bin
00:31:03: zu einer Art Antwortsucher geworden. Wo sind die Antworten, die wir brauchen, um
00:31:08: den nachwachsenden Generationen der lebenswerte Welt hinzuhindelassen?
00:31:12: Auf die Hoffnung komme ich gleich noch mal zu sprechen, aber jetzt haben sie beide
00:31:16: den Artikel von Hartmut Rosa erwähnt, den ich natürlich auch mit großem
00:31:19: Interesse gelesen habe, mal unabhängig von der aktuellen Situation der viel
00:31:24: beschworenen Polykrisen. Was haben wir als Menschen der Moderne davon, immer
00:31:31: wieder die Krise auszurufen, welchen Zweck erfüllt das?
00:31:34: Ich fände ehrlich gesagt, nicht was haben wir davon, sondern warum erleben wir
00:31:40: überhaupt auch so viel als Krise und das fand ich auch vielleicht dann noch mal
00:31:46: zur Relativierung und zu gucken, wo habe ich, wie kann ich sorgsam mit dem
00:31:52: Begriff umgehen, weil er Hartmut Rosa sehr gut aus meiner Sicht deutlich macht, die
00:31:57: kommen deswegen auch zustande, die vielen Krisen, weil wir seit der modernen Idee
00:32:01: haben, in irgendeiner Weise Verfügbarkeit über die Welt haben zu wollen und auch
00:32:07: gerade im Bildungssystem erleben wir das natürlich ganz doll, um so doller jetzt,
00:32:12: wo wir anfangen, alles über Monitoring, über Vermessung und so weiter in den
00:32:17: Griff zu bekommen. Wir haben den Begriff der Stellschraube, der ist so
00:32:20: entlarvend, ja auch bei Schulentwicklerinnen muss man leider sagen, wir kriegen alles
00:32:25: verfügbar, wenn wir die richtige Diagnose stellen und die richtige Stellschraube
00:32:29: drehen und dann läuft es. Das produziert dann zwangsläufig Krisen sozusagen, wenn
00:32:34: ich die Diagnose teile, dass es eigentlich uns die Welt in vielerlei Hinsicht sehr
00:32:39: unverfügbar ist. Herr Hecker, Sie haben das letzte Wort.
00:32:43: Warum ständig Krise? Ich glaube, wir erleben einen Rückschlageffekt der
00:32:47: Aufklärung. Ich glaube, dass die Aufklärung mit dem Versprechen verbunden ist,
00:32:51: dass wir eine vollständige Kontrolle und Beherrschbarkeit und Kontrollierbarkeit
00:32:56: der Weltverhältnisse erreichen können und das prägt unsere Art des Umgangs mit
00:33:00: dieser Welt. Und wenn Sie mich fragen, wo ich eine Chance darin sehe, dass wir mit
00:33:04: dieser mit so einer unglaublichen Unverfügbarkeit in Kontakt kommen, die uns
00:33:09: wirklich erschüttert und verunsichert auch, das Heft soll der ursprünglich heißen
00:33:13: Krise und Ungewissheit, weil Krisen ja Ungewissheit auslösen, dann würde ich
00:33:16: sagen, vielleicht ist es höchste Zeit, diesen Versuch, die Welt unter
00:33:22: Kontrolle zu bringen, in seiner ganzen Problematik zu erkennen mit allen
00:33:27: Nebenwirkungen, die das hat. Insofern hat es auch was im konstruktiven Sinne
00:33:32: enttäuschendes. Da fliegt nämlich die Täuschung auf, dass wir letztlich die
00:33:37: Welt bis ins letzte hinein kontrollieren können. Hartmut Rosa sagt, dort wo die
00:33:42: Kontrolle dann scheitert, scheint uns die Welt quasi wie monströs entgegen zu
00:33:48: stehen. Also ich glaube, wir haben eine Chance zu erkennen, dass dieser Art von
00:33:53: Weltzugriff in sich problematisch ist und nochmal ganz neu darüber nachzudenken,
00:33:58: wie wir mit dieser Welt die ganz klare Grenzen hat und Begrenztheiten hat, in
00:34:03: Zukunft umgehen zu wollen. Das Jahresheft Krise, wer es gut aushalten kann, sich
00:34:11: auf positive Weise etwas verunsichern zu lassen, wer gerne das Neue und die
00:34:17: Chance in der Krise finden möchte, der findet in diesem Jahresheft ganz viele
00:34:22: Anregungen, ganz viele Schulbeiträge und von philosophischem Ergründen bis
00:34:28: hin zu Praxisbeispielen den ganzen Spannungsbogen. Ich wünsche ganz viel
00:34:32: Vergnügen und ich danke Beate Wischer und Thomas Hecker.
00:34:36: Vielen Dank.
00:34:40: Das war "Einfach Unterrichten", der Podcast von Friedrich Plus aus dem Friedrichverlag.
00:34:47: Wir bringen innovativen Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt.
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