Deutsch: Nur eine Notlüge?

Shownotes

Ist höfliches Lügen angebracht? Gehört es zum guten Ton? Und wann wird aus einer Lüge eine alternative Wahrheit oder gar fake news? Wir widmen uns den Grauzonen „dazwischen“, den Macharten von Lüge, Dichtung und Wahrheit, und beleuchten die sprachlichen und literarischen Aspekte des Themas. Lass dich inspirieren und lote mit deinen Schüler:innen die Grenzen aus! Nur so können sie ihre Urteilsfähigkeit ausbilden. Wenn sie lernen, kritisch Hinzusehen und Nachzufragen, durchschauen sie den Raum zwischen Fakt und Fiktion. Mehr dazu erfährst du in der Ausgabe 300 von Praxis Deutsch, erschienen im Friedrich Verlag.


Im Podcast hörst du Moderatorin Veronika Obermeier im Gespräch mit Prof. Helmuth Feilke (Deutsch-Didaktiker und Herausgeber).

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00:00:00: Einfach unterrichten, der Podcast von Friedrich Plus aus dem Friedrich-Verlag. Wir bringen

00:00:10: innovativen Unterricht für Lehrkräfte auf den Punkt.

00:00:13: Herzlich willkommen beim Podcast Einfachunterrichten vom Friedrich-Verlag. In jeder Folge bringen

00:00:20: wir den neuesten Stand der Fachdidaktik in fünf Thesen auf den Punkt. Heute geht es um Fake News

00:00:26: im Deutschunterricht. Mein Name ist Veronica Obermeier vom Institut für Digitales Lernen.

00:00:31: Ich spreche hier mit den Menschen hinter den Unterrichtsidien des Friedrich-Verlags. Mein

00:00:37: heutiger Gast ist Helmut Falke. Er ist Professor für Germanistische Linguistik und Didaktik der

00:00:42: deutschen Sprache an der Justusliebig-Universität Gießen und hat die Praxis Deutschausgabe zwischen

00:00:48: Fake und Fakt herausgegeben. Wie immer arbeiten wir in diesem Podcast die fünf wichtigsten Thesen

00:00:54: heraus, die für den Unterricht wichtig sind. Und nach dieser langen Einleitung jetzt endlich

00:00:59: herzlich willkommen, Herr Falke. Sie haben sich ja diesem Thema jetzt angenehrt, indem Sie drei

00:01:06: Bereiche definiert haben, in denen Fakten und Fakes begegnen. Das ist die politische Kommunikation,

00:01:14: das sprachlich alltägliche Handeln und die Literatur. Bevor wir jetzt damit den Thesen

00:01:19: einsteigen, würde mich noch interessieren, welchen dieser Bereiche finden Sie persönlich am

00:01:23: spannendsten? Ja, wir hätten nicht die drei Bereiche genommen, wenn wir sie nicht alle sehr wichtig

00:01:31: fänden. Natürlich ist die Tagesaktualität bestimmt über Diskussion zu fragen, wie Lügenpresse

00:01:40: und Fake News. Das ist die Tagesaktualität. Aber wir haben dieses Thema, das ja den Titel

00:01:53: des Heftes 300, also eines Jubiläumsheftes markiert, genommen, weil wir glauben, dass es eben in

00:02:02: den Kernbereich des deutschen Unterrichts verhält. Und wenn wir dann über die Politik hinaussehen,

00:02:07: dann sehen wir das auch in der Alltagskommunikation. Jeder von uns täglich, es gibt Untersuchungen

00:02:14: dazu, sogar mehrmals, ich will nicht sagen lügt, aber die Unwahrheit sagt, über die

00:02:23: Unterschiede können wir vielleicht noch sprechen. Und wenn wir dann in einen Bereich hineingehen,

00:02:28: der natürlich auch für den Deutschunterricht zentral ist, nämlich den Umgang mit ästhetischen

00:02:33: Texten und mit Fiktionen, dann kommen wir in einen Bereich, der für den Deutschunterricht

00:02:41: zentral ist. Eine Erzählung, ein Roman sind nicht wahr und trotzdem können sie realistisch

00:02:49: sein. Was sind also die Unterschiede zwischen Fakes und realistischen Fiktionen? Da geht

00:02:58: es in die Ästhetik hinein. Das sind Kernfragen des Deutschunterrichts und auch die Frage,

00:03:05: wie trägt die Sprache dazu bei, wie ist unsere Kramatik, wie ist unsere Semantik auf dieses

00:03:12: Spannungsfeld zwischen Fake und Fakt bezogen, ist natürlich elementar für den Deutschunterricht.

00:03:18: Deshalb, um auf die Frage zu antworten, dann möchte ich mich nicht festlegen, das sind

00:03:22: alles drei wichtige Felder. Ich freue mich hier sehr, dass wir heute

00:03:27: dieses Thema bearbeiten dürfen, weil auch ich zustimme, das ist ein absolutes Kernthema

00:03:34: und berührt so viele Aspekte des Deutschunterrichts. Hab mich aber jetzt, als ich gesagt habe,

00:03:39: ich freue mich schon so ein bisschen gefühlt, als müsste ich sagen, das ist jetzt keine

00:03:42: Lüge gewesen, keine Würflichkeitsformulierung. Das sind wir gleich bei der ersten These.

00:03:49: Höfliches Lügen gehört zum Alltag einer Gesellschaft, aber alternative Wahrheiten führen zu Glaubenskriegen

00:03:54: und gefährden die Demokratie. Wie findet man in diesem Spannungsfeld Abstufungen? Weil

00:04:03: das selbst, wenn ich jetzt heute keine Lust auf unser Gespräch gehabt hätte, hätte ich

00:04:07: glaube ich die Demokratie nicht gefährdet damit. Wie findet man Abstufungen?

00:04:13: Also ich glaube, dass es wichtig ist, dieses Thema aus der aufgeheizten Diskussion über

00:04:23: Fake und Fakt herauszuziehen. Unter Kompetenzaspekten scheint es mir ganz zentral, dass Schüler

00:04:33: innen und Schüler lernen, sich autonom in diesem Feld zwischen Fake und Fakt zu orientieren

00:04:43: und urteilsfähig zu werden. Und das Urteilen beginnt am besten mit Selbstkritik. Das heißt

00:04:53: dort, wo wir, wenn wir im Alltag beobachten, dass die Unwahrheit zu sagen an vielen Stellen

00:05:03: zu unserer täglichen Praxis gehört oder auch, um das noch etwas weiter zu treiben,

00:05:09: die Wahrheit nicht zu sagen. Das ist ja auch etwas, was ist ja ein Unterschied. Sage ich

00:05:15: die Unwahrheit, dem entspricht unser Alltagsbegriff des Lügens, oder sage ich die Wahrheit nicht,

00:05:23: und es gibt sehr viele Situationen, wo wir lieber einmal und vielleicht sogar besser

00:05:28: den Mund halten, um eben uns nicht, wie man so schön sagt, den Mund zu verbrennen und

00:05:35: also eine Wahrheit nicht sagen. Und das ist ihre Frage nach den Abstufungen. Ja, etwas

00:05:45: diplomatisch formulieren, die Wahrheit nicht sagen, alles dies sind Formen des Umgangs mit

00:05:52: der Wahrheit. Und es lohnt sich darüber nachzudenken, warum verhalten wir uns so? Warum verhalten

00:05:59: wir uns so? Und es geht dann eben gleitend über in den Bereich, wo wir zum Beispiel,

00:06:07: ja, Sie haben es vorhin schon angesprochen. Na, wie geht es dir? Ja, auch alles in Ordnung.

00:06:16: Ja, und vielleicht ist es gar nicht der Fall. Es ist eine Schutzlüge, und diese Schutzlüge

00:06:22: dient vielleicht dazu, mich selbst zu schützen. Es kann aber auch tatsächlich so sein, dass

00:06:28: ich damit den anderen schütze. Denn wenn ich dann mein Herz ausschütten würde, dann kostet

00:06:34: es nicht nur die Zeit des anderen, sondern fordert vielleicht ein Engagement, das ja

00:06:40: gar nicht bereit ist zu erbringen in der Situation und also sage ich, alles in Ordnung. Es sei

00:06:47: denn, es ist ein guter Freund und ich habe das Gefühl, es ist eine ernsthafte Nachfrage,

00:06:52: dann werde ich auch entsprechend antworten. Aber so haben wir ein gleitenden Übergang

00:06:58: eben von Phänomenen wie diplomatisch formulieren, die Wahrheit nicht sagen hinzu, nicht die

00:07:06: Wahrheit sagen, und das spielt im Alltag eben schon eine wichtige Rolle. Und ich würde

00:07:13: erst von dort aus dann eben auf die ganz anders gelagerten Interessen und Funktionen

00:07:24: im Feld der Politik zum Beispiel zu sprechen kommen. Da finde ich sehr schön, dass in

00:07:30: dieser Ausgabe dieses Thema auch sehr für jüngere Schülerinnen und Schüler greifbar

00:07:36: gemacht wird mit dem Unterrichtsmodell mit den Hotelbeschreibungen, wo eben zum einen

00:07:42: was im Katalog steht, verglichen wird mit dem was dann an Hotelbewertungen im Internet

00:07:47: auftauchen kann, weil ich glaube, dass das da auch ganz nah an die Lebenswälde rangerückt

00:07:52: wird, weil ich bin mir nicht sicher, ab wann auch so diese, diese Schlügen im politischen

00:08:01: Bereich und eben die Glaubenskriege, demokratiegefährdende Inhalte und so weiter, ab wann sowas

00:08:08: vom Weltwissen her überhaupt wirklich gut thematisiert werden kann in der Schule.

00:08:14: Vielleicht zunächst nochmal auf dieses schöne Unterrichtsmodell, das Sie angesprochen haben

00:08:19: zu den Hotelbeschreibungen. Ich würde daran ja erst mal gar nicht denken, aber was mein

00:08:25: Kollegin und mit herausgehbarer Sarah Retz hat da gemacht hat, ist ja, Sie haben es

00:08:31: schon kurz umrissen und das hat uns sehr gut gefallen, diese Idee, die Werbeprospekte

00:08:39: der Hotels auf der einen Seite zu vergleichen, eben mit Rückmeldung der Hotelbesucher und

00:08:46: Urlauber. Es ist ja auch etwas, was Kinder, dieses Modell ist also geschrieben für die

00:08:52: unteren Sekundarstufe 1, also 5. bis 7. Schuljahr, wo die auch selbst betroffen sind. Ja, die

00:08:58: Familie ist ins Hotel gereist und es gibt eine große Enttäuschung. Ich habe mir auch

00:09:02: einen Satz da besonders gemerkt, da hieß es in der Hotelbeschreibung, die hellen Standardzimmer

00:09:12: liegen alle zur Mehrseite und verfügen über ein Bad. Ja, toll, hell, Standardzimmer, zur

00:09:20: Mehrseite. Ja, und dann kommt eben in einer der Hotelbewertungen, wo es nur einen Stern

00:09:28: gab von fünf möglichen, heißt es dann direkt vor unserem Zimmer war die Wand vom nächsten

00:09:35: Hotel, Blick aufs Meer konnte man also vergessen. Das heißt, es war gar nicht die Unwahrheit

00:09:41: gesagt worden, die Zimmer lagen alle zur Mehrseite, nur das noch ein anderes Hotel dazwischen lag.

00:09:47: Das war eben nicht beschrieben und es ist einfach ein Beispiel dafür, dass man lernen

00:09:56: muss, bei der Interpretation von Sätzen nicht so die eigenen Wünsche und Sehnsüchte nur

00:10:02: in den Vordergrund zu stellen, sondern sich auch mal zu fragen, wozu dient dieser Satz

00:10:08: möglicherweise auch anderen zur Werbung und wird mir vielleicht etwas verschwiegen,

00:10:14: was ich hier gar nicht aus dem Werbetext erkennen kann. Dann haben sie die Politik angesprochen,

00:10:19: um dort auch hin zu wechseln. Ja, ich glaube, dass tatsächlich, um das Funktionieren solcher

00:10:31: Aussagen im Bereich der Politik zu verstehen, man auch schon etwas verstanden haben muss

00:10:36: vom Funktionieren der Politik. Und wir haben ja, um das an einem extremen Beispiel zu

00:10:43: zeigen, das was heute in der Forschung "Politisches Bullshitting" genannt wird, einfach ausgedrückt,

00:10:56: die im Englischen heißt es die "Barface-Lie" oder die "offenkundige Lüge". Es gibt dafür

00:11:04: viele Beispiele im Moment, etwa der Russland-Ukraine-Krieg, wo es verboten ist, von einem Krieg zu sprechen

00:11:17: und jeder man kann sehen, dass es ein Krieg ist mit fürchterlichen Konsequenzen. Das heißt,

00:11:24: man sieht ganz offenkundig, wird hier gelogen, als der amerikanische Präsident 2017 gewählt

00:11:33: worden ist, gab es Streit um die Amts-Einführung. Jeder man konnte auf den Filmaufnahmen erkennen,

00:11:40: dass die Straßen nur spärlich bevölkert waren und die Plätze bei diesem Ereignis. Jeder

00:11:49: man konnte es sehen, auch wenn uns diese Bilder natürlich gezeigt werden, wenn sie hergestellt

00:11:56: werden und man kritisch sein muss gegenüber dem, was gezeigt wird. Es wird ja nicht die

00:12:01: Wahrheit gezeigt. Aber es gab viele unabhängige Quellen, die gesagt haben, naja, so viele

00:12:07: Leute waren nicht dort. Und der Präsidentensprecher Spicer hat dann am nächsten Tag gesagt, es

00:12:15: war die größte Amts-Einführung aller Zeiten. Als dies dann bezweifelt wurde, hat die Präsidentensprecherin

00:12:25: Conway Hissey, glaube ich, dann gesagt, naja, das sind nicht falsche Fakten, als ihr das

00:12:36: vorgehalten wurde, sondern es sind, und das ist ja dann zum geflügelten Wort geworden,

00:12:42: alternative Fakten. Und das ist natürlich etwas, was zunächst mal schwer zu verstehen

00:12:49: ist, denn normalerweise sagen wir, jemand blügt, um uns zu täuschen. Aber in diesem Fall wird

00:12:58: gelogen, obwohl nicht getäuscht werden kann, weil es einen Konsens gibt zur Wahrheit. Das

00:13:06: heißt, jemand behauptet etwas, wieder alle offenkundigen Fakten. Und das ist etwas, was

00:13:13: ja Trump zum Markenzeichen gemacht hat. Es ist dann eine Zeit lang diskutiert worden, ob er

00:13:20: vielleicht Schizophrenen ist und Ähnliches und ob Ferndiagnosen erlaubt sein und alle diese Fragen.

00:13:27: Aber es bedeutet einfach, wow, ist das ein toller Kerl gegen diese ganzen Kontrollfaktoren der

00:13:38: Demokratie, wie sie in Pressekonferenzen waren.

00:13:43: Journalistenbefragungen und Befragungen in Ausschüssen und so weiter beobachtbar sind,

00:13:48: setzt er einfach seine Behauptung und bringt dadurch natürlich die eigenen Fans hinter sich.

00:13:55: Und Sie haben es angesprochen. Aus meiner Sicht, aus unserer Sicht ist das eine hochgefährliche

00:14:03: Entwicklung, weil sie dazu führt, dass man entweder etwas Behauptetes nur glauben kann

00:14:09: oder nicht glauben kann. Und alles, was dazwischen liegt, die ganze mühsame Arbeit des Überprüfungs

00:14:19: wird dann hinfällig, wird in Abrede gestellt und wir kommen tatsächlich zu einer Situation. Wir

00:14:27: sehen das ja leider in fast allen westlichen Demokratien, in den USA vielleicht in besonderer

00:14:34: Weise, dass wir zu diesen gespaltenen Öffentlichkeiten kommen, zu äußerst knappen Wahlausgängen,

00:14:41: ob es der Brexit-Wahl in England, ob es die Präsidentenwahlen sind in den USA,

00:14:49: ob es die aktuelle Situation in Frankreich ist mit dieser Spaltung der Öffentlichkeit. Das ist

00:14:56: etwas für die Demokratie sehr gefährliches, wenn die Zwischentöne verschwinden. Und das ist eben

00:15:04: etwas, worauf wir mit unserem Heft hinweisen wollen, dass diese Bereiche zwischen Fake und Fakt

00:15:10: sehr wichtig sind und ernst zu nehmen sind. Das gelingt auch ganz gut. Sie haben jetzt gerade

00:15:15: die dritte These genannt, dass Schülerinnen und Schüler die Grenzbereiche zwischen Fake und Fakt

00:15:20: kennenlernen müssen, um ihre Urteilsfähigkeit auszubilden. Und da würde ich jetzt gerne die

00:15:25: zweite These noch anschließen, die sich da auf den sprachlichen Bereich bezieht, weil das eine

00:15:31: war jetzt auch das Erkennen von Mechanismen und die Mühseligkeit des Überprüfens, der man sich

00:15:36: da dann entziehen möchte. Aber die sprachliche Seite bedeutet eben, Fakten liegen nicht offen

00:15:42: zu Tage, sie müssen sprachlich hergestellt werden. Wie kommen wir zu dieser sprachlichen Ebene

00:15:49: im deutsche Unterricht am besten? Braucht es da ganz plakative Beispiele oder sollten da Schülerinnen

00:15:57: und Schüler besser in die Eigenproduktion gehen? Also zunächst mal muss man sagen, man sieht es

00:16:03: einem Satz nicht an, ob er wahr ist oder falsch ist, ob er Fiktion ist oder Realität ist. Ja,

00:16:14: ich habe im Weißes Artikel das einfache Beispiel genannt, dass mir einfach ein Einfiel an dieser

00:16:19: Stelle, nehmen einen Satz wie "er atmet schwer". Das kann in einem Roman stehen, ja das kann in

00:16:27: einer Reportage stehen, die eben den Tatsachen entspricht. Man sieht es, der Sprache selbst nicht

00:16:37: an. Wenn die zweite These heißt, Fakten liegen nicht offen zu Tage, sie müssen sprachlich hergestellt

00:16:44: werden, dann liegt der Akzent auf "hergestellt" werden. Auf dem Prozess, ob etwas wahr ist oder

00:16:51: falsch ist, ist immer eine Aussage, eine Behauptung über das, was ich sehe und dann gilt zunächst

00:17:01: mal "ich" habe es gesehen. Jemand anders hat vielleicht etwas anderes gesehen oder hat das,

00:17:09: was ich gesehen habe, anders gesehen. Das heißt, es sind die Anschlussprozesse, für die wir dann

00:17:16: aber Sprache brauchen, es ist die Verständigung über das Beobachtete, über das Gelesene,

00:17:23: die in Gang gesetzt werden muss und das ist eigentlich gemeint. Die Wahrheit wird in diesem

00:17:31: Sinne nicht durch Sprache hergestellt, sondern durch Brechen und Verständigung auch über Texte.

00:17:37: Deshalb gefällt mir sehr gut ja auch dieser Lernbereich des Deutschunterrichts, Umgang mit

00:17:44: Texten. Es geht nicht nur der Einzelnen damit, um wir alle gehen damit um. Wenn wir zum Beispiel

00:17:50: einen Text vor uns haben und wir sagen, was steht in diesem Absatz, fast den Absatz zusammen und wir

00:17:55: machen zum Beispiel "Paired Reading". Das heißt, der Absatz wird von zwei Schülerinnen gleichzeitig

00:18:02: gelesen und die sollen sich darüber verständigen. Es gibt immer und es ist immer mit unterschiedlichen

00:18:10: Lesarten zu rechnen. Das heißt, wir haben unterschiedliche Perspektiven auf dieselbe Sache

00:18:16: und wir müssen diese Perspektiven sprachlich abgleichen und möglicherweise nicht nur sprachlich,

00:18:23: sondern auch im Bezug auf die Wirklichkeit, die wir dann beobachten und möglicherweise

00:18:30: unterschiedlich wahrnehmen. Und das ist gemeint mit dieser These, dass man also den Prozessen der

00:18:38: Wahrheitsfindung, der sprachlichen Wahrheitsfindung, großes Gewicht beimessen soll. Und am Ergebnis kann

00:18:45: dann etwas stehen wie eine These oder eine Definition. Das sind wichtige Mittel, Thesen,

00:18:54: Definitionen, Wahrheiten festzustellen und intersubjektiv festzuhalten. Aber sie stehen

00:19:04: eben am Ende einer oft mühsamen Auseinandersetzung und von sehr viel sprachlicher Arbeit und

00:19:12: davon sollte auch etwas in den Deutschunterricht geholt werden.

00:19:15: Diesen Prozess besteiben Sie sehr gut in der vierten These. Das kritische Hinsehen und Nachfragen

00:19:21: kann helfen den Raum zwischen Fakt und Fiktion zu durchschauen. Ich glaube, die haben wir mit

00:19:26: dieser Aussage jetzt auch schon ganz gut abgehandelt. Jetzt bleibt noch die letzte und in meinen Augen

00:19:32: eine sehr überraschende, wenn nicht sogar provokante Fälschen ist ein didaktisches Prinzip

00:19:38: des Lernens. Was ist damit gemeint? Zunächst mal ist das Fälschen ja auch ein ganz prominentes Thema

00:19:48: des öffentlichen Diskurses. Und das hat nicht nur mit unserer aktuellen Diskussion über

00:19:54: Fakt und Fakt zu tun. Wir können uns einige Jahre zurück erinnern an die Plagiatsdiskussionen,

00:20:03: eine Politikerin nach der anderen musste ihren Hut nehmen. Inzwischen hat sich auch

00:20:13: diese Diskussion etwas versachlicht. Das Fälschen ist Teil unserer Praxis und es müssen Kontrollinstanzen

00:20:22: da sein, die überprüfen, ob nun eine Doktorarbeit selbst geschrieben wurde oder nicht. Das Fälschen

00:20:31: ist auch bekannt aus der Literatur. Da gibt es sehr viele Diskussionen über die Frage,

00:20:36: wer hat etwas geschrieben, wer hat es nicht geschrieben. Und insofern ist einerseits diese

00:20:42: These richtig. Man kann an Fälschungen sehr viel lernen über das Funktionieren, aber und es ist

00:20:53: auch tatsächlich richtig, dass das Fälschen eine Möglichkeit ist, zu lernen. Ich muss ja etwas

00:21:04: hervorbringen, was nicht für falsch gehalten wird. Und diese Bedingungen muss ich dann ja

00:21:14: reflektieren. Ich muss wissen, wie sende ich Authentizitätssignale, dass etwas glaubwürdig ist,

00:21:23: welche Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine Aussage auch geglaubt wird. Natürlich kann ich

00:21:30: Aussagen machen vielfältige Art, die wird mir aber niemand glauben. Das heißt, ich muss

00:21:35: einschätzen können, wie verhält sich das Gesagte zur Wirklichkeit gar nicht so einfach. Alles

00:21:42: dies sind Kompetenzen und insofern stimmt dieser Satz einerseits. Am Fälschen kann man lernen und

00:21:51: das ist ein didaktisches Prinzip des Lernens, aber es ist eben nur ein Prinzip des Lernens. Das

00:22:00: sollte man nicht überbewerten. Auch wenn ich im angesprochenen Praxis Deutsch hefte, sehr schön

00:22:08: das Modell finde, in dem für vom 4. Juli bis in die Oberstufe hinein Ulf-Abraham und Themen von

00:22:21: Brand eben zeigen, wie man Parodien schreiben kann. Parodien sind keine Fälschungen, aber sie sind

00:22:32: ganz ähnlich zu Originalen und sie funktionieren in dieser Weise. Also, wie schreibt man eine

00:22:41: Parodie zu Ottos Mops beispielsweise und was kann dabei gelernt werden? Wie kann man einen Schlagertext

00:22:49: parodieren, also Ulf-Abraham und Tilmann von Brand kommen von der Literatur her, während zum

00:22:59: Beispiel dann auf der anderen Seite das Modell von Dieter Brogel von Alltagserzählungen herkommt,

00:23:07: die wir alle kennen. Unglaubliche Geschichten, die weitererzählt werden, ob an der Bushaltestelle

00:23:14: oder in der Klasse oder am Abendtisch beim gemeinsamen Abendessen. Hast du schon gehört? Also,

00:23:22: mir hat ein Freund erzählt und der hat es wirklich erlebt. Jeder kennt diese Anfänge der sogenannten

00:23:29: Urban Legends, also von Erzählungen, die wahr sein könnten, aber unglaublich sind und deshalb sehr,

00:23:39: sehr große Verbreitung haben und ich habe es schon erlebt, dass Professor und Kollegen mir solche

00:23:45: Geschichten erzählt haben, die sie geglaubt haben und ich habe sie auch zunächst geglaubt und dann

00:23:51: später, als ich nach Hause vor habe, habe ich gedacht, kann das denn sein? Und dann habe ich mich

00:23:56: ans Internet gesetzt und habe mal ein bisschen gegrubelt und siehe da. Diese Sache war schon sehr,

00:24:02: sehr oft erzählt worden und es war eben eine solche Running Story, eine Geschichte, die weitererzählt

00:24:11: wird. Eine Sage würde man vielleicht vor 200 Jahren gesagt haben und sie war nicht wahr und auch

00:24:24: das muss man lernen, solche im Alltag sehr vertrauten Geschichten auch auf Herz und Nieren

00:24:32: zu prüfen, nicht zuletzt, um sie auch selbst weitererzählen zu können. Das ist ja ein sehr,

00:24:39: sehr großer Spannungsbogen, den der vom Alltag unserer Schülerinnen und Schüler geht. Gibt es

00:24:45: denn auch Möglichkeiten, wo es näher zusammenkommt, die wir im Unterricht vielleicht aufgreifen

00:24:50: könnten? Ja, die gibt es natürlich auch. Also wenn wir mal vom Alltag ausgehen und hierzu hat

00:24:57: meine Kollegin Astrid Müller ein sehr schönes Unterrichtsmodell geschrieben. Ich glaube,

00:25:04: wir haben es schon angesprochen, höflich Lügen. Da gibt es die Kategorie der sogenannten White

00:25:12: Lies, also der weißen Lügen, wo es nicht so dunkel ist. Also man sage zum Beispiel, wenn man

00:25:23: gefragt hat, du erinnerst dich doch sicher an mich und dann natürlich erinnere ich mich an dich,

00:25:28: oder man hat verschlafen, wird angerufen, wann kommst du denn endlich? Ja, ich bin auf dem Weg,

00:25:36: ja, während man sich gerade noch aus dem Bett schält, das sind also White Lies, die nicht die

00:25:44: Wahrheit sagen, aber ja, letztlich auch harmlos sind und zum alltäglichen Betrieb gehören.

00:25:53: Und das haben wir natürlich in der Politik auch unauffällig gelügen. Es gibt nicht nur die

00:25:59: bar faced Lies, sondern auch die unauffälligen Lügen und etwas, was sehr stark über den

00:26:05: Watchers auch erschließbar ist. Dazu hat die Kollegin Doris Topinke als Mit-Arausgeberinnen

00:26:12: ein sehr schönes Modell geschrieben, eben über Euphemismen, beschönigende Wörter in der Sprache

00:26:20: der Politik. Was ist gemeint, wenn vom Tierwohl die Rede ist? Was ist gemeint, wenn im Blick

00:26:28: auf Migranten, Asylanten die Rede ist von Rückkehr und Rückführungen ein sehr schwieriger politischer

00:26:39: Bereich, im Blick auf den man aber sicher festhalten kann, dass ein Wort wie Rückkehr

00:26:45: beschönigend ist im Verhältnis zu dem, was dort geschieht, etwa bei einer Abschiebung. Also,

00:26:55: da haben wir ähnliche Phänomene durchaus auch in der Sprache der Politik.

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